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Systemrelevante Unternehmen: Der Staat in der Rolle des Letzthaftenden? Cover

Systemrelevante Unternehmen: Der Staat in der Rolle des Letzthaftenden?

Open Access
|Nov 2025

Full Article

1. Einleitung

Die Krisen der letzten 20 Jahre haben Staaten zunehmend in die Rolle des Letzthaftenden gezwungen und den Einsatz teils weitreichender Instrumente erfordert. Im Fokus standen nicht nur die Finanzmärkte, sondern auch die Luftfahrt, die Energieversorgung, das Gesundheitssystem oder die Schadensbewältigung extremer Naturereignisse. Gleichzeitig manifestiert sich – etwa vor dem Hintergrund handels- und geopolitischer Verwerfungen – eine grössere Störanfälligkeit der Volkswirtschaften mit stark integrierten Produkt- und Faktormärkten entlang globaler Lieferketten.

Staatliche Eingriffe lassen sich ökonomisch grundsätzlich mit der Korrektur von Marktversagen rechtfertigen. Staatsinterventionen zur Stützung von einzelnen grossen Unternehmen, Infrastrukturen oder Wirtschaftssektoren im Krisenfall beruhen sodann auf dem Verständnis, dass eine Abfederung durch private Kräfte nicht möglich ist und die Dynamik eines Leistungsausfalls die Stabilität der Volkswirtschaft insgesamt gefährdet, was zu untragbaren Kosten führen kann. Dabei kommt Schlagworten wie ‘too big to fail’ (TBTF), ‘Systemrelevanz’ oder ‘Systemkritikalität’ grosse Bedeutung zu. Dies insbesondere, wenn zu entscheiden ist, ob und in welcher Form staatliche Unterstützung bzw. Absicherung nötig ist.

Seit der COVID 19-Pandemie wird Systemrelevanz zunehmend politisch verwendet, um die Forderung nach staatlicher Unterstützung und Risikoabsicherung für unternehmerisches Handeln zu begründen. Die Beliebtheit des Begriffs ist auch mit seiner Unschärfe verbunden.1 Es besteht entsprechend das Risiko, dass sich der Staat zunehmend damit konfrontiert sieht, Unterstützungs- und Absicherungsinstrumente bereitzustellen. Dies kann wiederum Anreize zu übermässig risikoreichen unternehmerischen Entscheiden verstärken. Denkbare Konsequenzen sind höhere volkswirtschaftliche Kosten, eine zunehmende Diskrepanz zwischen «privatisierten Gewinnen» und «sozialisierten Verlusten», Einbussen an wirtschaftspolitischer Kohärenz und die Belastung der öffentlichen Haushalte.

Der vorliegende Beitrag will die Frage, wann staatliche Nothilfe für systemrelevante Unternehmen angezeigt ist, kriterienbasiert und in einer branchenübergreifenden Betrachtung für wirtschaftspolitische Entscheide besser fundieren. Die Studie bezieht sich auf die Schweiz, die Problematik ist indes von grundsätzlicher Bedeutung. Eine Recherche für die deutschsprachigen Nachbarländer hat gezeigt, dass auch dort wenig bereichsübergreifende Grundlagen vorliegen. Ein Blick in die Literatur ergibt ein ähnliches Bild. Während zahlreiche Studien zu systemrelevanten Banken im Kontext der Arbeiten des Basel Committee on Banking Supervision existieren, ist dies für andere Wirtschaftszweige nicht der Fall.2 Der Beitrag ist konzeptionell angelegt, eine Beurteilung im Einzelfall bedürfte einer vertieften Betrachtung.

Für bessere Grundlagen für Entscheidungsträger in der öffentlichen Verwaltung, Parlamenten und Fachgremien wird hier eine wirtschaftspolitische Einordnung geleistet. Dafür werden in einem ersten Schritt die Begrifflichkeiten zur Systemkritikalität und Systemrelevanz eingegrenzt und verglichen. Zum einen wird Kritikalität im Licht der Arbeiten zur Nationalen Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen (SKI) erläutert. Zum andern wird der Begriff Systemrelevanz in Anlehnung an die TBTF-Diskussion erörtert. Es zeigt sich, dass die beiden Begriffe mit ihrem Fokus auf den Ausfall essenzieller Leistungen oft sehr ähnlich sind. Während jedoch Kritikalität als Mass für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung von Teilsektoren in einem umfassenden Konzept zur Resilienzstärkung verwendet wird, fokussiert Systemrelevanz auf grosse, stark vernetzte Unternehmen, deren Leistungsausfall nicht in nützlicher Frist substituiert werden kann. Systemrelevanz ist somit enger gefasst. Die Analyse zeigt zudem, dass für die Kritikalität von kritischen Infrastrukturen und die Systemrelevanz von Unternehmen sinnvolle und anwendbare Kriterien vorliegen, die für wirtschaftspolitische Entscheidungen dienlich sind. Für die Frage der Systemrelevanz stehen die drei ökonomischen Kriterien ‘Grösse und Marktkonzentration’, ‘Vernetzung’ sowie ‘mangelnde Substituierbarkeit’ im Vordergrund.

In einem zweiten Schritt legt eine einfache Analyse der Teilsektoren höchster Kritikalität gemäss SKI mit Blick auf die Systemrelevanz der wichtigsten Unternehmen nahe, dass die Kriterien Grösse und Marktanteil sowie Vernetzung oft hinreichend erfüllt sind. Hingegen erscheint eine mangelnde Substituierbarkeit nur selten plausibel. Entsprechend sind nur wenige grosse Unternehmen, primär aus dem Finanzsektor, als systemrelevant einzustufen. Die Frage, ob grosse Stromunternehmen als systemrelevant zu beurteilen sind, ist prinzipiell zu verneinen, wobei staatliche Nothilfe mit Blick auf die Krisenursache im Einzelfall vertieft zu prüfen ist.

Darauf aufbauend werden konzeptionelle Überlegungen zu staatlichen Massnahmen im Kontext von Systemkritikalität und Systemrelevanz angestellt. Die Darstellung zeigt, dass ein breites Massnahmenspektrum besteht, das entlang von Eingriffstiefe, Interventionszeitpunkt und Design verläuft. Dabei sind weitreichende Absicherungsinstrumente – etwa Public Liquidity Backstops (PLBs) oder Rettungsschirme – mit umfassenden Vorgaben zu versehen (z.B. strenge Konditionalitäten, Gebühren und hohe Transparenzanforderungen). Dies um «moral hazard»-Anreizen zu begegnen und die öffentliche Hand vor übermässigen Letzthaftungsrisiken zu schützen. Der vorliegende Beitrag schliesst mit einigen Kernaussagen im Hinblick auf die wirtschafts- und finanzpolitische Praxis ab.

2. Kritische Infrastrukturen und systemrelevante Unternehmen: Begriffe und Kriterien

2.1 Kritische Infrastrukturen

Begriffliches und Konzept

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) beschreibt kritische Infrastrukturen als «Prozesse, Systeme und Einrichtungen, die für das Funktionieren der Wirtschaft und für die Lebensgrundlagen der Bevölkerung essenziell sind. Sie stellen die Verfügbarkeit von wichtigen Gütern und Dienstleistungen wie Energie, Kommunikation oder Verkehr sicher. Störungen, Ausfälle oder die Zerstörung können schwerwiegende Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft haben. Die kritischen Infrastrukturen werden in sogenannte Sektoren und Teilsektoren unterteilt (z. B. Stromversorgung, Erdölversorgung und Erdgasversorgung im Sektor Energie). Innerhalb der kritischen Teilsektoren sind grundsätzlich sämtliche Elemente oder Objekte (z. B. Betreiberfirmen, Anlagen, Systeme) Bestandteil der kritischen Infrastruktur, wobei sich die jeweilige Bedeutung (oder Kritikalität) unterscheidet.» (BABS 2018, Bundesrat 2023)3

Dieses Verständnis ist der Konzeption in Deutschland, Österreich und der EU sehr ähnlich (BBK 2019 & 2021; Österreichisches Bundeskanzleramt 2015; Europäische Kommission 2006; Europäische Union 2008 & 2022): Erstens dienen kritische Infrastrukturen der Landesversorgung mit essenziellen Gütern und Dienstleistungen. Zweitens stehen Wirtschaft und Bevölkerung als betroffene Akteursgruppen der Landesversorgung im Zentrum. Drittens werden kritische Infrastrukturen umfassend und systemisch betrachtet – Lieferketten und Inputfaktoren wie Arbeit werden als Bestandteil der Infrastruktur eingeschlossen.

Die Identifikation von kritischen Infrastrukturen erfolgt typischerweise in mehreren Stufen: Auf der obersten Stufe werden jene Sektoren und Teilsektoren (Branchen) eruiert, in denen essenzielle Güter und Dienstleistungen für Wirtschaft und Bevölkerung hergestellt werden. Dies erfolgt im Regelfall aus einer top-down-Sicht und gestützt auf wenige Kriterien, die auch eine erste Differenzierung ermöglicht mit Blick auf die Bedeutung eines Teilsektors für das Gesamtsystem, d.h. dessen Kritikalität. So werden in der Strategie des Bundesrats zum Schutz kritischer Infrastrukturen (SKI) neun Sektoren mit 27 kritischen Teilsektoren ermittelt, deren Kritikalität mit einem dreistufigen Ampelsystem bewertet ist (Tabelle 1).

Tabelle 1

Kritische Infrastrukturen: Sektoren und kritikalitätsbewertete Teilsektoren.

SEKTORENTEILSEKTOREN (BRANCHEN)KRITIKALITÄT*
BehördenForschung und Lehre3
Kulturgüter3
Parlament, Regierung, Justiz, Verwalt2
EnergieErdgasversorgung2
Erdölversorgung1
Fern- und Prozesswärme3
Stromversorgung1
EntsorgungAbfälle2
Abwasser2
FinanzenFinanzdienstleistungen1
Versicherungsdienstleistungen2
Gesundheit*Medizinische Versorgung2
Labordienstleistungen2
Chemie und Heilmittel2
Information und KommunikationIT-Dienstleistungen1
Telekommunikation1
Medien2
Postdienste2
NahrungLebensmittelversorgung2
Wasserversorgung1
Öffentliche SicherheitArmee3
Blaulichtorganisationen2
Zivilschutz3
VerkehrLuftverkehr2
Schienenverkehr2
Schiffsverkehr2
Strassenverkehr1

[i] * Kritikalität (1 = sehr gross, 2 = gross, 3 = erheblich) steht für die relative Bedeutung des Teilsektors in Bezug auf mögliche Auswirkungen eines Ausfalls von wenigen Tagen bis Wochen auf die Bevölkerung und die Wirtschaft. Die Bewertung macht keine Aussage über die Kritikalität einzelner Objekte und gilt in einer normalen Gefährdungslage. Bei Katastrophen und Notlagen kann sich die Kritikalität der Teilsektoren ändern (z.B. Sektor Gesundheit im Fall einer Pandemie).

Quelle: Bundesrat (2023).

Die Auflistung und Bewertung von Sektoren und Teilsektoren dient als Orientierungsrahmen für die Inventarisierung und die Kritikalitätsbewertung der untergeordneten Ebenen kritischer Infrastruktur (z.B. Objektgruppen, Anlagen). Dies erfordert wiederum spezifische Kriterien.

Kriterien zur Bewertung der Kritikalität kritischer Infrastrukturen

In der Schweiz wurde die Kritikalität der 27 Teilsektoren anhand des Schadenausmasses bei einem Ausfall des Teilsektors mit drei Kriterien bewertet (BABS 2010):

  1. Auswirkungen auf die Bevölkerung (Anzahl betroffener Personen, Intensität der Betroffenheit),

  2. Auswirkungen auf die Wirtschaft (direkter finanzieller Schaden, nichtmonetärer wirtschaftlicher Schaden),

  3. Auswirkungen auf andere Teilsektoren (spezifische Dependenzanalyse).

Auf den untergeordneten Ebenen, Bauten und Anlagen, wird die Kritikalität anhand weiterer Kriterien wie z.B. die Anzahl der versorgten Personen (Marktanteil) oder die Bedeutung einer Infrastrukturanlage für die Funktionsfähigkeit des Teilsektors bewertet (BABS 2017). Für das Kriterium Ausfallzeit wird eine einheitliche Spanne von «wenigen Tagen bis mehrere Wochen» unterstellt.

Einen analogen Ansatz verfolgt die EU-Richtlinie 2022/2557: Neben Kriterien wie Anzahl potenziell betroffener Nutzer, Schadenhöhe, Dependenz und Auswirkungen auf weitere Systembereiche werden auch Ausweichmöglichkeiten bei ausgefallenen Infrastrukturbereichen berücksichtigt.

In den hier betrachteten Konzepten zum Schutz kritischer Infrastrukturen taucht der Ausdruck Systemrelevanz einzig im deutschen KRITIS-Kontext auf. Als «systemrelevante Einrichtungen» werden dabei alle identifizierten kritischen Infrastrukturen verstanden sowie jene weiteren Einrichtungen, die «mittelbar zur Bereitstellung kritischer Dienstleistungen beitragen». Im Schweizer und im EU-Kontext taucht der Begriff Systemrelevanz hingegen nicht auf.

2.2 Systemrelevante Unternehmen

Begriffliches

Systemrelevanz wird in gängigen Definitionen umschrieben als «die Relevanz (also die Bedeutsamkeit oder Wichtigkeit in einem bestimmten Zusammenhang), die Staaten, Organisationen, Unternehmen, Produkte, Dienstleistungen und Berufsgruppen (respektive ihre Angehörigen) für den Betrieb und die Aufrechterhaltung eines Systems, etwa eines Wirtschafts- oder Gesundheitssystems oder der Grundversorgung, haben» (Gabler Wirtschaftslexikon 2024). Die Definition lässt offen, unter welchen Bedingungen, aufgrund welcher Kriterien oder mit welchen Systemgrenzen einer bestimmten Einheit Systemrelevanz zugeschrieben wird.

Als erster und wesentlicher Annäherungsschritt zur Systemrelevanz bietet sich das System Volkswirtschaft an. Unmittelbar angesprochen werden die essenziellen Bedingungen und Kriterien in der Definition der Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen, die der Bundesrat im Jahr 2009 eingesetzt hat und den Auftrag hatte, die Frage der Systemrelevanz zu analysieren, nicht nur im Finanzsektor, sondern auch bezogen auf weitere Sektoren. Die Expertenkommission hält fest: «Ein Unternehmen wird dann als TBTF eingestuft, wenn der Staat es nicht untergehen lassen kann. Im Mittelpunkt der Diskussion steht (…) der Begriff der ’systemischen Relevanz’». Meist synonym zu TBTF verwendet werden auch «too interconnected to fail» oder «too complex to fail». In diesem Kontext weist die Begriffsverwendung zwei typische Merkmale auf: Erstens bezieht sich Systemrelevanz auf grosse, meist international tätige Unternehmen des Privatsektors. Zweitens fokussieren die Szenarien des Leistungsausfalls auf den Verlust an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit aufgrund einer Schieflage eines Unternehmens.

Kriterien zur Bewertung der Systemrelevanz

Für eine ökonomische Einordnung der Systemrelevanz stellen die Gutachten von Brunetti (2023) sowie der diesem zugrunde liegende, oben zitierte Bericht der Expertenkommission (2010) eine gute und auf die Schweiz bezogene Grundlage dar. Die Expertenkommission identifizierte zunächst zwei Bedingungen für das Vorliegen von Systemrelevanz:

  1. Das Unternehmen erbringt Leistungen, die für die Volkswirtschaft zentral sind und auf die grundsätzlich nicht verzichtet werden kann. Im Vordergrund stehen dabei Netzwerke und die Grundversorgung mit lebenswichtigen Gütern.

  2. Andere Marktteilnehmer können die systemrelevanten Leistungen des Unternehmens nicht innerhalb der Frist ersetzen, die für die Volkswirtschaft tragbar ist.

Während die erste Bedingung von vielen Unternehmen erfüllt wird, namentlich auch von Infrastrukturanbietern, ist es die zweite Bedingung, die notwendig und entscheidend ist für Systemrelevanz. Tatsächlich erbringt jedes Unternehmen in einer arbeitsteiligen Wirtschaft wichtige Leistungen, deren Wegfall – zumal bei grossen Unternehmen – eine Volkswirtschaft empfindlich treffen kann, sei dies aufgrund von Störungen in der Lieferkette oder von Wertschöpfungs- und Arbeitsplatzverlusten. Für das System Volkswirtschaft stellt dies aber solange kein grundlegendes Problem dar, wie der Wegfall innert einer angemessenen Frist durch andere, womöglich bessere Leistungen ersetzt werden kann. Erst wenn die ausgefallenen unverzichtbaren Leistungen nicht in nötiger Frist ersetzt werden können, folgen volkswirtschaftliche Schäden mit untragbaren Kosten, und erst dies erfüllt den Sachverhalt der Systemrelevanz (Brunetti 2023).

Zur Operationalisierung der beiden Bedingungen und um die Systemrelevanz eines Unternehmens abschätzen zu können, hat die Expertenkommission drei Kriterien eruiert:

  1. Grösse und Marktkonzentration: Scheidet ein grosses Unternehmen aus dem Markt aus, hat dies primär negative Beschäftigungs- und Wertschöpfungseffekte; im Fall hoher Marktkonzentration kann es einen Wirtschaftssektor oder eine Region empfindlich treffen, nicht aber die ganze Volkswirtschaft. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich vorübergehende Verwerfungen auf den Beschaffungs- und Gütermärkten über die Zeit wieder einpendeln.

  2. Vernetzung: Dieses Kriterium operationalisiert die externen Kosten, die in Form von Wertschöpfungseinbussen und Anpassungserfordernissen durch den Wegfall bei Zulieferern, Kunden oder Investoren des scheiternden Unternehmens entstehen. Eine ausgeprägte Vernetzung kann in extremis dazu führen, dass der Ausfall eines wichtigen Akteurs sich so auf die anderen Akteure überträgt, dass die Funktionsfähigkeit des ganzen Systems gefährdet ist (Domino-Effekte, «too interconnected to fail»). Beide Kriterien betreffen die volkswirtschaftliche Bedeutung eines Unternehmens, sie setzen bei der ersten der beiden genannten Bedingungen an.

  3. Mangelnde Substituierbarkeit: Dieses Kriterium operationalisiert die zweite und entscheidende Bedingung, die notwendig ist für das Vorliegen von Systemrelevanz. Denn die untragbar hohen volkswirtschaftlichen Kosten entstehen erst, wenn es im marktwirtschaftlichen System nicht gelingt, die wegfallenden Leistungen zu kompensieren, sei es durch das Angebot anderer Unternehmen oder den Weiterbetrieb systemrelevanter Bereiche. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind umso höher, je grösser und vernetzter das scheiternde Unternehmen ist. Dabei ist der Faktor Zeit zentral: Je rascher und vollständiger der Leistungsersatz stattfinden kann, umso geringer sind die Schäden aus dem Wegfall des Unternehmens und umso geringer ist dessen Systemrelevanz.

Die Expertenkommission kommt zum Schluss, dass einzig Grossbanken alle Kriterien eindeutig erfüllen.4 Brunetti (2023) erläutert, dass international ein Konsens zur Definition der Systemrelevanz (im Bereich der Finanzstabilität) besteht. Als wichtigster Referenzpunkt wird dafür der vom Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) entwickelte Ansatz zur Identifikation von global systemrelevanten Banken («Global systemically important banks», G-SIBs) erachtet. Dieser Ansatz umfasst fünf Kriterien, vier davon entsprechen grundsätzlich den Kriterien der Schweizer Expertenkommission. Neben dem Kriterium der Komplexität wird als fünfter Punkt zusätzlich die grenzüberschreitenden Aktivitäten einer Bank berücksichtigt, da die Systemrelevanz für das globale Finanzsystem betrachtet wird (BCBS 2011 & 2021). Sodann befassen sich diverse wissenschaftliche Beiträge mit der Frage, wie sich Systemrelevanz im Finanzmarktsektor indikatorenbasiert messen lässt. Im Fokus stehen primär methodische Fragen zur Berechnung und Gewichtung der Indikatoren. Entsprechend sieht Brunetti (2023) auch keine neuen Erkenntnisse, welche die in der Schweiz im Rahmen der TBTF-Diskussion erarbeitete Definition von Systemrelevanz grundlegend in Frage stellen würden.5,6

Wenngleich Systemrelevanz auf Unternehmen des Privatsektors bezogen wird, dürften – bei streng funktionaler Betrachtung – auch gewisse vom Staat beherrschte Unternehmen das Kriterium der mangelnden Substituierbarkeit erfüllen. Beispiele hierfür sind etwa Swisscom, SBB oder wesentliche Teile der Post. Staatlicher Rettungszwang ergibt sich hier allerdings bereits daraus, dass diese Unternehmen gesetzliche Bundesaufgaben wahrnehmen, für die oft kein genügendes privatwirtschaftliches Angebot zustande kommen würde. Dies wiederum ist meist den Eigenschaften des jeweiligen Aufgabenfelds geschuldet, wie z.B. hohe Fixkosten mit steigenden Skalenerträgen. Die Gewährleistungsverantwortung für die Aufgabenerfüllung bleibt aber beim Bund, was diesen – neben dem Argument, sein Vermögen zu schützen – zur frühzeitigen Intervention verpflichtet. Typischerweise wird diese «verdeckte» Systemrelevanz bei den genannten bundesnahen Unternehmen im SKI-Kontext mit höchster Kritikalität bewertet, selbst wenn der übergeordnete Teilsektor eine tiefere Kritikalität aufweist.7

Als zentrales Argument für die Systemrelevanz grosser Banken werden die spezifischen Bedingungen des Bankgeschäfts angeführt, die eine Abwicklung der Unternehmung in einem Insolvenzfall und damit die Übernahme bzw. Substituierung der kritischen Leistungen in nützlicher Frist verunmöglichen (vgl. Abschnitt 3.3). Bei einer allgemeinen Beurteilung von Systemrelevanz ist allerdings zu berücksichtigen, dass erstens die verfügbare Zeit für eine Substitution auch von anderen Faktoren abhängig ist als nur von den Bedingungen des Konkursverfahrens (z.B. organisatorische Vorkehrungen für die Abspaltung systemrelevanter Geschäftsbereiche). Zweitens ist auch die Abgrenzung des relevanten Marktes wichtig. Führt dieser über die nationale Grenze hinaus, dürften sich auch die Möglichkeiten für eine Substitution in nützlicher Frist erweitern.

2.3 Vergleich und Einordnung von Kritikalität und Systemrelevanz

Kritikalität und Systemrelevanz zeigen wesentliche Übereinstimmungen, aber auch Unterschiede. Für ein präziseres Verständnis wird die Bedeutung von Kritikalität im Sinne der SKI-Strategie sowie von Systemrelevanz gemäss Brunetti (2023) eingeordnet.

Mit der SKI-Strategie des Bundesrats soll die Resilienz der kritischen Infrastrukturen gestärkt werden, d.h. letztlich die Eintrittswahrscheinlichkeit von Ausfällen reduziert und deren Folgen im Ereignisfall gemildert werden. Der Ansatz ist umfassend, und zwar mit Blick auf die Teilsektoren und die betrachteten Infrastrukturelemente (Aggregierungsstufen: ganze Systeme, Unternehmen, Prozesse, Betreiber, Objekte), auf die Eigentumsstruktur (öffentlich, privat, gemischt) oder auch auf die Szenarien, die zu einem Leistungsausfall führen (z.B. Naturereignisse, technische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Ursachen). Damit kritische Infrastrukturen identifiziert und Massnahmen effizient ergriffen werden können, ist ein koordiniertes Vorgehen mit Standards nötig. Dabei ist die Kritikalität ein zentrales Element. Sie wird anhand der drei Hauptkriterien (Auswirkungen auf Bevölkerung, Wirtschaft und andere Teilsektoren) sowie mithilfe vertiefender Risikoanalysen operationalisiert. Gleichzeitig dient sie als Mass für die relative Bedeutung einer Infrastruktur im Gesamtsystem von Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Diskussion zur Systemrelevanz wurde durch die Finanzkrise 2008 angestossen. Im Zentrum steht die TBTF-Problematik von privaten Unternehmen und die Gefahr einer impliziten Staatsgarantie. Die Diskussion bezweckt in erster Linie, die ökonomischen Voraussetzungen zu verstehen, potenzielle Krisenfälle frühzeitig zu erkennen und einzugrenzen und das Risiko der öffentlichen Hand zu reduzieren, in eine kostspielige Rettung gezwungen zu werden. Bei den Risikoszenarien und den Massnahmenschwerpunkten dominieren marktsystemische und betriebswirtschaftliche Faktoren. In der strengen Auslegung der drei genannten Kriterien für Systemrelevanz verbleiben nur wenige Finanzinstitute, für die ein umfangreiches Netz an makro- und mikroprudenzieller Regulierung aufgebaut worden ist. Inwiefern auch grosse Stromversorger einzuschliessen sind, wird erst seit kurzem eingehender diskutiert.

Übereinstimmung zwischen Kritikalität und Systemrelevanz besteht im gemeinsamen Bezug auf die hohen volkswirtschaftlichen Kosten, die bei einem Ausfall eines Infrastrukturanbieters mit höchster Kritikalität und einer systemrelevanten Unternehmung entstehen. Die Kriterien sind in dieser Hinsicht eng verwandt: So prüfen die «Auswirkungen auf Bevölkerung und Wirtschaft» und «Grösse und Marktkonzentration» ähnliche Sachverhalte, dasselbe gilt für «Dependenz» und «Vernetzung».

Hingegen unterscheiden sich die Operationalisierungen im Kriterium der «mangelnden Substituierbarkeit». Dieses ist zentral für die Systemrelevanz eines Unternehmens, wird aber bei der Beurteilung von Kritikalität im SKI-Kontext nicht verwendet. Systemrelevanz ist somit restriktiver gefasst als Kritikalität, selbst bei sehr hoher Kritikalitätsstufe. Daraus folgt, dass systemrelevante Unternehmen im SKI-Kontext zwingend eine sehr hohe Kritikalität aufweisen. Umgekehrt sind nicht alle kritischen Infrastrukturen mit sehr hoher Kritikalität auch systemrelevant. Bildlich gesprochen stellen systemrelevante Unternehmen die Spitze in der Pyramide kritischer Infrastrukturen dar: Ein Ausfall ihrer Leistungen hätte bereits aufgrund ihrer Grösse und Vernetzung volkswirtschaftliche Schäden zur Folge. Dass die Leistungen aber nicht in gebotener Frist substituiert werden können, potenziert das Schadensausmass (z.B. über Dominoeffekte), und eine rasche Staatsintervention würde unvermeidbar.

Obschon die kriterienbasierte Identifikation von Kritikalität von Infrastrukturen bzw. die Systemrelevanz von Unternehmen mit zusätzlichen Indikatoren und Schwellenwerten objektiviert wird, ist eine rein quantitative Operationalisierung aufgrund der Komplexität kaum abschliessend möglich. So sind die Krisenursache sowie das wirtschaftspolitische und konjunkturelle Umfeld von Bedeutung. Bei der Zuschreibung von Kritikalität und Systemrelevanz verbleiben somit politische Ermessensspielräume, die auch kontextabhängig sind.

Die kriterienbasierte Identifikation der Kritikalität von Teilsektoren bzw. der Systemrelevanz von Unternehmen dient dazu, den staatlichen Handlungsbedarf einzuschätzen und adäquate Massnahmen zu ergreifen.

3. Anwendung der Kriterien zur Systemrelevanz in Teilsektoren höchster Kritikalität

Die Frage systemrelevanter Unternehmen wird nachfolgend mit Bezug auf die drei Kriterien – Grösse und Marktkonzentration, Vernetzung, mangelnde Substituierbarkeit – in den Teilsektoren geprüft, die gemäss SKI mit höchster Kritikalität einzustufen sind (vgl. Tabelle 1).8,9 Für ausgewählte Beispiele staatlicher Unterstützung in der Schweiz siehe Box A1 im Anhang.

3.1 Erdölversorgung

Erdöl ist mit einer Quote von 46 Prozent am Gesamtenergieverbrauch trotz sinkender Anteile der wichtigste Energieträger der Schweiz. Insgesamt dominiert der Einsatz als Treibstoff, nur knapp ein Viertel wird in Form von Heizöl für die Wärmeproduktion eingesetzt. Der gesamte Bedarf wird importiert. Davon werden gut 75 Prozent als Endprodukte aus europäischen Ländern transportiert, 25 Prozent stammen aus der einzigen Inlandraffinerie (Cressier), die sich mit Rohöl über den Hafen Marseille und die Pipeline Marseille-Vernier versorgt. Der Import ist auf diverse Anbieter verteilt. Von der Erdölversorgung stark abhängig sind der Strassen- und Luftverkehr, die Blaulichtorganisationen sowie die Chemie, Pharma und MEM-Industrie.

Grundsätzlich sollten Angebotsausfälle gut substituierbar sein. Versorgungsengpässe sind aber denkbar, sodass auch mit vorübergehenden empfindlichen Preisreaktionen gerechnet werden muss. Dabei erfüllen die Pflichtlager der wirtschaftlichen Landesversorgung eine Pufferfunktion.

Die Erdölversorgung ist infolge der grossen Inlandnachfrage als Infrastruktur sehr hoher Kritikalität eingestuft. Während eine systemrelevante Grösse und Vernetzung wohl vorliegt, ist die Bereitstellung von Erdöl auch aufgrund der Lagerfähigkeit relativ gut substituierbar. In diesem Teilsektor erfüllt daher kein einzelnes Unternehmen alle Kriterien für Systemrelevanz. Hingegen ist davon auszugehen, dass die Nachfrage nach fossilen Brenn- und Treibstoffen abnehmen wird, was der Raffinerie Cressier mittelfristig die wirtschaftliche Basis entziehen kann.

3.2 Stromversorgung

Die Stromversorgung umfasst alle Anlagen und Tätigkeiten, die an der Belieferung der Verbraucher mit Elektrizität teilnehmen. Dazu zählen Produktion, Transport, Speicherung, Verteilung und Handel von Strom. In der Schweiz nehmen an der Versorgung der Stromendverbraucher mit rund 60 TWh Strom gut 600 Elektrizitätsversorgungsunternehmen teil. Zu den marktbestimmenden Unternehmen, die an praktisch allen Versorgungsschritten beteiligt sind, zählen Axpo Holding AG, Alpiq Holding AG sowie die BKW AG. Unter den mittelgrossen Unternehmen zu nennen sind Repower AG, Primeo Energie AG, Azienda Elettrica Ticiniese (AET), Groupe E SA, das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) und die Industriellen Werke Basel (IWB). Im Vergleich zum europäischen Ausland darf der Schweizer Markt als relativ fragmentiert erachtet werden. Zudem ist die Schweiz stark in das europäische Versorgungssystem eingebunden. Bedeutung kommt auch der Swissgrid AG zu, die das nationale Übertragungsnetz betreibt. Die genannten Unternehmen befinden sich – bei teils verschachtelten Eignerstrukturen – letztlich im Mehrheitsbesitz von Kantonen und Gemeinden.

Es ist unbestritten, dass die Stromversorgung zu den Infrastrukturen höchster Kritikalität zählt. Dies ist neben der Unverzichtbarkeit für alle Haushalte und Unternehmen auch dem ausgeprägten Vernetzungsgrad geschuldet: Eine Störung oder ein Ausfall würde die Funktionsfähigkeit aller anderen kritischen Teilsektoren unmittelbar und stark beeinträchtigen. Die Frage, inwiefern die einzelnen (grossen) Stromunternehmen als systemrelevant einzustufen sind und mit welchen Instrumenten die Branche angemessen zu regulieren ist, wird derzeit intensiv diskutiert. Im Entwurf zur Änderung des Stromversorgungsgesetzes werden die grossen Stromversorger als systemrelevant bezeichnet (UVEK 2024). Die Argumentation lautet, dass ein Ausfall eines grossen Stromlieferanten weitere nicht-kompensierbare Ausfälle verursachen kann, die angesichts der hohen Vernetzung zwischen Produzenten, Händlern, Energielieferanten und Verbrauchern über einen Dominoeffekt zum Versagen des Versorgungssystems führen können. Dies kann in sehr hohe (nicht bezifferte) volkswirtschaftliche Mehrkosten münden. Genauer wird festgehalten, dass ein systemrelevantes Unternehmen Leistungen erbringen muss, die für die gesamte oder regionale Volkswirtschaft zentral und grundsätzlich unverzichtbar sind und nicht innerhalb einer für die Volkswirtschaft tragbaren Frist durch andere Marktteilnehmer ersetzt werden können. Dabei ist die Höhe der gesamten Kraftwerkleistung für die Einstufung der Systemrelevanz von Bedeutung.

Umgekehrt fragt sich, ob die unterbrechungsfreie Fortführung systemkritischer Leistungen wie Stromproduktion und -handel bei einem nicht-physischen Ausfall eines grossen Stromunternehmens (z.B. aufgrund von Illiquidität) tatsächlich gefährdet ist. Substitutionsmöglichkeiten in nützlicher Frist bestehen, etwa mittels Firmenübernahme oder einer befristeten Weiterführung durch eine Auffanggesellschaft. Hinzu kommt, dass sich bei einem Stromversorger die Aktivseite zu einem guten Teil aus Anlagevermögen zusammensetzt, d.h. der Infrastruktur selbst, dessen Realwert sich beurteilen lässt. Die Infrastrukturleistungen von grossen Stromunternehmen können auch bei einem Konkursverfahren im Prinzip ohne Unterbruch angeboten werden (Dümmler 2022). Zu bedenken ist auch, dass bei normaler Angebotslage innerhalb des europäischen Übertragungsnetzes Spielräume bestehen, um Leistungsausfälle zu kompensieren, was Zeit verschafft. Schliesslich darf festgestellt werden, dass es auch im Interesse und der Verantwortlichkeit von Eigentümern und dem Stromunternehmen selbst liegt, zusätzliche Vorkehrungen zur Prävention einer Schieflage zu treffen.

Vor diesem Hintergrund ist die Frage, ob grosse Stromunternehmen systemrelevant sind, aus einer wirtschaftspolitischen Sicht zu verneinen. Dabei ist die Ausrichtung von staatlicher Nothilfe im Einzelfall, insbesondere mit Blick auf die Krisenursachen jedoch vertieft zu prüfen. So kann ein unvorhersehbares schwerwiegendes Ereignis – etwa die Verwerfungen im Stromhandel ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine – eine einmalige staatliche Unterstützung rechtfertigen (Brunetti 2025). Um bei ähnlichen künftigen Ereignissen staatliche Unterstützung zu vermeiden, ist eine stärkere Regulierung zur Resilienzsteigerung der Strombranche angezeigt (z.B. Vorgaben zu Organisationsstruktur und Transparenz, Mindestanforderungen an Liquidität und Eigenkapital).10

3.3 Finanzdienstleistungen

Im Teilsektor Finanzdienstleistungen stehen primär die Banken sowie die Betreiber von Finanzmarktinfrastrukturen im Fokus. Die Leistungen dieser Akteure sind für eine funktionsfähige Volkswirtschaft unabdingbar, grössere Störungen führen schnell zu Verwerfungen bei allen anderen Wirtschaftsakteuren. Bedeutend sind insbesondere die Abwicklung des Zahlungsverkehrs, die Versorgung mit Kapital und Liquidität, die Anlage und der Handel von Kapital sowie die Versorgung mit Bargeld.

Die gemessen an der Bilanzsumme grössten Institute sind die UBS (global tätige Universalbank), die Raiffeisen-Gruppe Schweiz (Retail, KMU, Hypotheken), die Zürcher Kantonalbank (überregionale Universalbank) sowie die PostFinance (Zahlungsverkehr). Eine bedeutende Rolle im Finanzplatz Schweiz nehmen auch weitere grössere Kantonalbanken sowie Vermögensverwaltungsbanken ein.

Der Vernetzungsgrad ist unmittelbar mit der Bilanzsumme und der Marktgrösse einer Bank verbunden. Dies betrifft sowohl die Realwirtschaft als auch die Finanzwirtschaft selbst (inkl. Versicherungen). Die starke Verflechtung im Interbankengeschäft kann überdies zu Dominoeffekten innerhalb der Branche führen.

Die Substituierbarkeit von Bankdienstleistungen ist schwierig und unterscheidet sich von anderen Unternehmen aus zwei Gründen. Erstens handelt es sich bei Kredit- und Investitionsgeschäften meist um nicht-standardisierte Einzellösungen. Sie basieren auf zeitaufwendigen Prüfungen von Schuldnern und Projekten, die nicht ohne weiteres durch eine Fremdbank fortgeführt werden können. Zweitens vermag im Bankwesen das Prinzip der Nachlassstundung nicht zu greifen, das bei anderen Unternehmen im Insolvenzfall die Aktivseite der Bilanz vorübergehend vor dem Zugriff durch die Gläubiger schützt und Zeit für die Liquiditätsbeschaffung bietet. Da die Bankguthaben grossteils auf Sicht verfügbar sind, können die Gläubiger ihre Einlagen grundsätzlich jederzeit abziehen (Gefahr eines «bank run»), was eine geordnete Weiterführung der Geschäfte ohne Liquiditätsspritzen von aussen – auch mit Blick auf das Vertrauen – praktisch verunmöglicht (Brunetti 2023).

Das Kriterium der mangelnden Substituierbarkeit im Bankgeschäft ist damit erfüllt. Systemrelevanz liegt vor, wenn Grösse und ein hoher Vernetzungsgrad mit möglichen Dominoeffekten hinzukommen. Gemäss Verfügungen der Schweizerischen Nationalbank sind die vier genannten Banken – UBS, Raiffeisen-Gruppe, ZKB und PostFinance – systemrelevant; ebenso sind bestimmte Finanzmarktinfrastrukturen der SIX-Group systemrelevant.11 Damit einher gehen eine umfangreiche Regulierung wie auch die Eventualität staatlicher Krisenunterstützung.12

3.4 IT-Dienstleistungen

Informationstechnologien sind Bestandteil moderner Gesellschaften und ein unverzichtbarer Produktionsfaktor. Deshalb wird diesem Teilsektor sehr hohe Kritikalität attestiert.

Mit Blick auf die Frage der Systemrelevanz sind diverse Service- und Produktsparten zu unterscheiden, die jeweils auf dynamischen, globalen Märkten angeboten werden. Zu differenzieren sind zunächst Hardware-Produkte und Software-Services, innerhalb der Software (SW) Sparten wie Betriebssystem und Infrastrukturprogramme, Applikationen, Enterprise-SW, Kommunikations-SW, Datenbanken, Cloud-Services oder Cybersicherheit. Zwei Risikoszenarien sind von Bedeutung: Der Ausfall von IT-Leistungen aufgrund eines scheiternden wichtigen IT-Anbieters oder aufgrund einer breit wirksamen Cyberattacke. Letztere kann mit staatlicher Nothilfe nicht wirksam aufgefangen werden und entfällt. Im Rahmen der Risikoprävention kommt dem Staat indes eine sehr wichtige Rolle zu.

Im SW-Markt sind internationale Unternehmen tätig, die so gross und vernetzt sind, dass ein Scheitern vorübergehend zu grösseren Störungen führen kann. Allerdings ist die Anbieterstruktur auch breit genug, dass wegfallende Dienstleistungen durch andere Anbieter ersetzt oder mittels Übernahme weitergeführt werden könnten. Systemrelevante Unternehmen, deren Wegfall eine staatliche Intervention erfordern würde, sind im IT-Sektor kaum vorstellbar, auch im Fall von Software-Giganten wie Microsoft, Google oder SAP.

Die beiden genannten Szenarien machen deutlich, wie wichtig es für jede Unternehmung, kritische Infrastruktur oder staatliche Einrichtung ist, in eigener Verantwortung Massnahmen zur Minimierung von Systemausfällen und Datenverlust zu ergreifen (Redundanzen, Multi-Clouds, Notfallpläne etc.).

3.5 Telekommunikation

Die Leistungen im Teilsektor Telekommunikation umfassen die Übertragung von Daten und Informationen sowie den Bau und Betrieb aller Netze und Einrichtungen, die dazu nötig sind. Dazu zählt namentlich das Mobilfunk-, Breitband- und TV-Angebot. Wie die IT-Dienstleistungen, zu denen Überschneidungen bestehen, erbringt die Telekommunikation unverzichtbare Dienste für alle Wirtschaftsakteure. Dies begründet ihre sehr hohe Kritikalität.

In der Schweiz dominieren zwei Unternehmen mit einer umfassenden Angebotspalette: Swisscom AG, die im mehrheitlichen Eigentum des Bundes ist und auch die Konzession für die Grundversorgung innehat, und Sunrise, die in ausländischem Besitz ist und zweitgrösster Anbieter ist. Mit deutlichem Abstand folgt die Firma Salt.

Namentlich Swisscom, aber auch die kleinere Sunrise weisen im Schweizer Markt eine bedeutende Grösse und ausgeprägte Vernetzung mit Privathaushalten und Unternehmen sowie den übrigen kritischen Infrastrukturen auf. Ein Wegfall eines der beiden Unternehmen hätte vorübergehend erhebliche Folgen für die Versorgung mit Telekomdiensten. Allerdings stellt sich auch in diesem Teilsektor die Frage der Systemrelevanz nicht unmittelbar. Denn erstens könnten die Dienstleistungen von einer Drittfirma übernommen und weitergeführt werden. Zweitens obliegt dem Bund in gewissen Tätigkeitsbereichen der Swisscom die Gewährleistungsverantwortung, d.h. er muss dieses Angebot mit geeigneten Stützungsmassnahmen sicherstellen.

3.6 Wasserversorgung

Die Kantone haben die Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft mit Trinkwasser, Brauchwasser und Löschwasser meist den Gemeinden delegiert. Die Wasserversorgung ist daher ausgeprägt dezentral und wird von einer Vielzahl meist kleinerer Gemeindebetriebe oder Zweckverbände wahrgenommen. Die Leistungen sind ortsgebunden und werden aufgrund ihrer hohen Fixkosten im jeweiligen Versorgungsgebiet im Monopol angeboten.

Grössere Störungen oder Ausfälle der Wasserversorgung können aufgrund von Naturereignissen, Strom- oder IT-Ausfällen auftreten und verursachen innert kürzester Zeit eine Mangellage mit Komforteinbussen und Produktionsunterbrüchen. Die Substitutionsmöglichkeiten sind begrenzt und teuer. Solche Versorgungsengpässe sind indes praktisch immer lokal oder regional begrenzt und können mit geeigneten Vorkehrungen gemildert werden.

Auf lokaler Ebene wird die Kritikalität der Wasserversorgung aufgrund der unelastischen Nachfrage und der kurzfristig schwierigen Substituierbarkeit als sehr hoch eingestuft. Ein überregionaler und längerdauernder Versorgungsausfall ist hingegen nur bei einem schwerwiegenden Ereignis (z.B. Erdbeben) denkbar. Ebenso sind gravierende gesamtwirtschaftliche Folgeeffekte auf die Produktion anderer Güter und Dienstleistungen eher unwahrscheinlich. Angesichts der dezentralen, öffentlichen Organisation besteht bei der Wasserversorgung jedoch kein Grossunternehmen, das als systemrelevant einzustufen ist.

3.7 Verkehr

Strassenverkehr

Die Strasseninfrastruktur umfasst das Netz aller Autobahnen, Haupt- und Nebenstrassen inklusive Tunnels und Brücken sowie die Gütertransportunternehmen und den öffentlichen Verkehr. Das Strassensystem wird im SKI-Kontext mit sehr hoher Kritikalität eingestuft. Ein länger dauernder Ausfall einer zentralen Verbindung (z.B. Gotthardtunnel) dürfte zu Störungen in der Güterversorgung, der regionalen Wirtschaft und auch der Blaulichtorganisationen führen. Für die Frage der Systemrelevanz ist dieser Teilsektor aber nicht von Belang, weil alle Strassen in öffentlichem Besitz sind und die Eigentümer bei einer Störung oder Zerstörung rasch handeln müssten. Während die Gütertransportunternehmen gut substituierbar sind, handelt es sich bei den ÖV-Anbietern meist um lokale oder regionale Unternehmen.

Schienenverkehr

Der Schienenverkehr erbringt namentlich im Personentransport auch kurzfristig unverzichtbare Leistungen. Die Vernetzung mit anderen Teilsektoren ist ausgeprägt. Der Schienenverkehr wird daher mit einer hohen Kritikalität bewertet. Eine rasche Substitutionsmöglichkeit besteht grundsätzlich nicht. Grösster Leistungsträger ist die SBB. Die Problematik der Systemrelevanz privater Unternehmen stellt sich allerdings nicht, da die SBB in Bundesbesitz ist und Aufgaben erfüllt, für die der Bund die Gewährleistungsverantwortung trägt.

Luftverkehr

Der Luftverkehr erbringt für die Schweiz unverzichtbare Transportleistungen, was seine hohe Kritikalität begründet. Die Flughäfen Zürich (ZRH) und Genf (GVA) binden die Schweiz an das internationale Luftverkehrsnetz an. Für die international tätigen Unternehmen und Organisationen in der Schweiz stellen die Flughäfen einen bedeutenden Standortfaktor dar und spielen auch für die Güterversorgung eine wichtige Rolle.13

Während ZRH und GVA ihre Liquidität in der Pandemie 2020 dank Kurzarbeit und Investitionsstopps ohne öffentliche Finanzhilfen sicherstellen konnten, gerieten die Airline Swiss sowie gewisse flugnahe Betriebe aufgrund des Nachfrageeinbruchs in Liquiditätsschwierigkeiten. Auf Begehren der Unternehmen hat der Bund Kreditgarantien von über 1.3 Milliarden Franken gewährt. Der Bund folgte dabei dem Argument, dass die Unternehmen standortpolitisch eine wichtige Funktion ausüben und unter normalen Bedingungen profitabel wirtschaften. Gemäss den in Abschnitt 2 genannten Kriterien sind sie aber nicht systemrelevant, da die Versorgungsfunktionen in einer Normallage in nützlicher Frist substituierbar wären.

3.8 Überblick

Die Analyse der Teilsektoren mit sehr hoher Kritikalität im Hinblick auf systemrelevante Unternehmen zeigt, dass die Kriterien anwendbar sind und eine gute Orientierung für wirtschaftspolitische Überlegungen bieten. Tabelle 2 fasst die bereichsübergreifende Analyse zusammen.

Tabelle 2

Vereinfachte Einordnung der Systemrelevanz von Unternehmen in Teilsektoren sehr grosser Kritikalität.

TEILSEKTOREN SEHR HOHER KRITIKALITäT GEMäSS SKI BUNDUNTERNEHMEN, ANBIETER, BETREIBER*KRITERIENBEURTEILUNG/BEMERKUNGEN
GRÖSSE & MARKTKONZENTRATIONVERNETZUNGMANGELNDE SUBSTITUIERBARKEIT
ErdölversorgungRaffinerie Cressier; Importeure
(Erdöl: Varo Energy AG; Erdölderivate: BP, Shell, Agrola)
JaJaNeinWegfall der eigenen Raffinerie könnte durch Dritte ersetzt oder fortgeführt werden. Mit vorübergehenden Preisreaktionen ist zu rechnen.
→ keine systemrelevanten Unternehmen
StromversorgungGrosse Strommarktunternehmen (Produktion, Handel)(Axpo, Alpiq, BKW)JaJaNeinGenerell: meist mehrheitlich in öffentlichem Besitz (Kantone, Gemeinden). Einzelne Anbieter: Sehr hohe Vernetzung, Substituierbarkeit kann je nach Krisenursache anspruchsvoll sein, scheint aber möglich.
→ grundsätzlich keine systemrelevanten Unternehmen
FinanzdienstleistungenGrosse Banken(UBS, Raiffeisen-Gruppe, ZKB, PostFinance);Finanzinfrastruktur (SIX-Group)JaJaJaGrösse und Marktkonzentration, Vernetzungsgrad und mangelnde Substituierbarkeit in nützlicher Frist sind erfüllt.
→ systemrelevante Unternehmen
IT-DienstleistungenGrosse Softwareproduzenten(Microsoft, SAP, ALSO AG, Swisscom, Tietoevry, Google)JaJaNeinAusfall von Leistungen kann durch Dritte fortgeführt werden(Redundanzen wichtig)
→ keine systemrelevanten Unternehmen
TelekommunikationGrosse Telekomanbieter mit eigenerNetzinfrastruktur(Swisscom, Sunrise, Salt)JaJaNeinAusfall von Leistungen kann durch Dritte ersetzt oder fortgeführt werden. Swisscom: Mehrheitsaktionär Bund, Grundversorgungskonzession (Gewährleistungspflicht Bund).
→ grundsätzlich keine systemrelevanten Unternehmen
WasserversorgungLokale WasserversorgerNeinNeinNeinLokale Monopole, dezentrales Angebot, keine Auswirkung auf gesamte Volkswirtschaft.
→ keine systemrelevanten Unternehmen
VerkehrStrasse: Infrastruktur in öffentlichem Besitz,Gütertransportunternehmen, ÖV-Betriebe
teils Ja

teils Ja

Nein
Infrastruktur: Frage der Systemrelevanz stellt sich nicht.
Transportunternehmen: gute Substituierbarkeit bzw. in öffentlichem Besitz.
Schiene: SBB als Betreiber Netz und Infrastruktur sowiegrösster TransportanbieterJaJaÖffentliches Unternehmen, Gewährleistungspflicht Bund
Luft: Infrastruktur Flughafenbetreiber ZRH und GVATransport: SwissNein
Nein
Ja
Ja
Nein
Nein
Abwicklung mit Auffanggesellschaft im Prinzip möglich; prinzipiell einfach ersetzbar durch andere Airlines.
→ grundsätzlich keine systemrelevanten Unternehmen

[i] Bemerkungen: * Die Aufzählung nennt einige wichtige Unternehmen, die Liste ist aber nicht abschliessend.

Quelle: eigene Darstellung.

Werden die drei Kriterien für Systemrelevanz auf weitere Teilsektoren kritischer Infrastruktur mit tieferer Kritikalität ausgeweitet, wird deutlich, dass allein die Grösse oder die Vernetzung von grossen Unternehmungen eines Teilsektors aus ökonomischer Sicht keine Systemrelevanz begründet. Beispiele dafür sind grosse Detailhändler oder multinationale Unternehmungen im Bereich Chemie, Pharma oder Lebensmittel. Die volkswirtschaftliche Bedeutung wäre hier nicht mit der Landesversorgung, sondern dem Wertschöpfungs- und Beschäftigungsbeitrag zu begründen. Ähnliches gilt auch für die Rohmetallverarbeitung, wo neben Wertschöpfung und Beschäftigung auch ökologische Argumente zur Betonung der volkswirtschaftlichen Bedeutung ins Feld geführt werden. In all diesen Beispielen ist eine Substitution durch andere Marktakteure möglich – kriterienbasierte Systemrelevanz liegt nicht vor.

4. Konzeptionelle Überlegungen zu staatlichem Handlungsbedarf im Krisenfall

Für den Fall eines schweren Leistungsausfalls in der Versorgung von Wirtschaft und Gesellschaft mit Gütern und Dienstleistungen, der zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten führen kann, verfügt der Staat über ein Spektrum an Massnahmen, um volkswirtschaftlichen Schaden abzuwenden oder in Grenzen zu halten. Dabei stellen sich zwei Grundsatzfragen:

  1. Besteht Bedarf für eine staatliche Intervention?

  2. Falls ja: In welchem Umfang, in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt sind Interventionen angezeigt?

Die Beantwortung der ersten Frage erfordert – neben einer Klärung der zuständigen Staatsebene – eine wirtschaftspolitische Analyse. Folgt daraus der Schluss, dass ein Leistungsausfall in nützlicher Frist von privaten Anbietern im Markt aufgefangen werden kann, erübrigt sich eine Intervention. Der Wegfall einer wichtigen Leistung durch das Ausscheiden eines Unternehmens und dessen Kompensation durch den Markt wird mithin als Ausdruck einer dynamischen Wirtschaft verstanden, die strukturellen Wandel zulässt und in der sich produktivere Ideen durchsetzen. Dies auch dann, wenn auf lokaler Ebene vorübergehende Nachteile bei Wertschöpfung und Beschäftigung in Kauf genommen werden müssen (Brunetti 2023).

Die Frage der Notwendigkeit staatlicher Nothilfe hängt auch vom Grad der Unvorhersehbarkeit von schwerwiegenden Ereignissen ab. Ist ein schwerwiegendes Ereignis wie etwa ein extremer Preisschock für die Wirtschaftsakteure nicht vorhersehbar, kann staatliche Nothilfe einmalig gerechtfertigt sein. Diese Beurteilung ändert sich, wenn ein vergleichbares Ereignis erneut eintritt und die Möglichkeit besteht, genügende Vorkehrungen seitens der Unternehmen zu ergreifen wie auch eine angepasste Regulierung zu implementieren (Brunetti 2025).

Die Frage gewinnt an Brisanz, je höher die Kritikalität bzw. Systemrelevanz der wegfallendenden Leistungen bzw. Unternehmen eingestuft wird. Die zweite Frage wird daher für systemrelevante Unternehmen bzw. hochkritische Infrastrukturen kurz diskutiert und entlang der Eingriffstiefe der Massnahmen konzeptionell dargestellt.

Wie weitreichend eine staatliche Massnahme ist, hängt vom Eingriff in die Verfügungsrechte eines Unternehmens ab sowie den Kosten, die für eine Unternehmung bzw. den Staat aus einer Massnahme hervorgehen. Wenig weitreichende Massnahmen sind z.B. Branchenempfehlungen für gute Unternehmensführung, deren Anwendung freiwillig ist. Darunter können etwa die Implementierung gewisser ISO-Normen (Risiko, Compliance, Business Continuity, IT-Sicherheit etc.) oder eine erweiterte Jahresberichterstattung fallen. Die Eingriffstiefe der Massnahmen steigt, wenn die Anwendung solcher Standards gesetzlich vorgeschrieben wird.

Noch weitreichender sind Massnahmen wie etwa die Einführung einer Marktaufsichtsbehörde mit Weisungsrechten (z.B. Finma, ElCom, Swissmedic) oder staatliche Vorgaben über Reservehaltungen, z.B. in Form von Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften (z.B. Finanzdienstleister), Pflichtlager von essenziellen Gütern (z.B. Brennstoffe, Medikamente, Nahrungsmittel) oder Produktionspotenzialen (z.B. Kraftwerkreserven). Ähnlich dürften auch unternehmensorganisatorische Vorschriften einzuordnen sein, die eine rasche Substituierbarkeit weggefallener Leistungsbereiche im Krisenfall erleichtern. Darunter fallen Massnahmen, die die Restrukturierung oder Abwicklung einer Unternehmung im Insolvenzfall vereinfacht, z.B. durch eine Konzernstruktur mit eigenständig kapitalisierten Tochterunternehmen. Ebenso wären Vorschriften zur Redundanz von IT-Systemen darunter zu fassen.

Zu den weiterreichenden Massnahmen zählen schliesslich diverse Varianten zur Kapital- und Liquiditätsstützung (Kreditgarantien, Public Liquidity Backstops, Rettungsschirm) einerseits, andererseits darüberhinausgehend staatliche Beteiligungen oder temporäre Verstaatlichungen (Temporary Public Ownership, TPO). All diese Massnahmen können im konkreten Fall unterschiedlich streng ausgestaltet werden, was deren Eingriffstiefe und letztlich auch die Kosten für die betroffenen Unternehmen und den Staat beeinflusst.

Die vereinfachte Darstellung einiger wichtiger Massnahmen unterschiedlicher Reichweite in Tabelle 3 macht deutlich, dass mit Blick auf den Zeitpunkt des Einsatzes zu unterscheiden ist zwischen präventiven und reaktiven Massnahmen. Präventive Massnahmen werden vor einem kritischen Ereignis ergriffen. Ihre Wirkung zielt zum einen darauf ab, die Resilienz zu stärken und damit die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Leistungsausfalls zu senken. Dazu zählen die Massnahmen zur Governance, Marktaufsicht sowie Reservehaltungen. Zum anderen sollen Präventivmassnahmen den Staat aus dem Rettungszwang bringen, indem sie die Substituierbarkeit von kritischen Leistungen verbessern (z.B. unternehmensorganisatorische Vorgaben zur Abspaltung von Geschäftsbereichen). Reaktive Massnahmen werden hingegen nach dem Eintritt eines Ereignisses ergriffen. Beide zielen darauf ab, die Folgen eines Leistungsausfalls zu mildern, d.h. dessen volkswirtschaftliche Kosten zu senken. Dies erfordert meist weitreichende Interventionen bzw. Absicherungsinstrumente wie beispielsweise Kreditgarantien, Liquiditätshilfen oder (temporäre) staatliche Beteiligung bzw. Übernahme.

Tabelle 3

Konzeptionelle Übersicht zu staatlichen Massnahmen bei Systemkritikalität und Systemrelevanz.

MASSNAHMEEMPFEHLUNGEN GOVERNANCE (BERICHTERSTATTUNG, RM, BCM, COMPLIANCE ETC.)VORGABEN GOVERNANCE (BERICHTERSTATTUNG, RM, BCM, COMPLIANCE ETC.)MARKTAUFSICHT (MIT WEISUNGS- UND SANKTIONSBEFUGNIS)VORGABEN RESERVEN (EIGENKAPITAL-/LIQUIDITäTSPUFFER, PFLICHTLAGER, KRAFTWERKRESERVEN)VORGABEN UNTERNEHMENSORGANISATION (RESTRUKTURIERUNG/ABWICKLUNG, REDUNDANZ IT-SYSTEME)GARANTIEN (BANKKREDITE, PLB, RETTUNGSSCHIRME)KAPITALBETEILIGUNG, TPO, VERSTAATLICHUNG
Eingriffstiefegeringmittelmittel bis hochmittel bis hochmittel bis hochhochhoch
Zeitpunkt der Massnahmepräventivpräventivpräventivpräventivpräventiv, unter Umständen auch reaktivpräventiv, unter Umständen auch reaktivreaktiv
DesignvariantenUmfang und Tiefe der EmpfehlungenUmfang und Tiefe der VorgabenUmfang und Tiefe der Aufsichtsbefugnisse, AufsichtspraxisAusmass und Strenge der VorgabenUmfang und Tiefe der VorgabenUmfang, Bedingungen und DauerUmfang, Bedingungen und Dauer
«Moral-hazard»-Anreizekeinegewisse Anreize zur Umgehung der Vorgaben (z.B. mangelnde Transparenz)gewisse Anreize zur Umgehung der Vorgabengewisse Anreize zur Umgehung der Vorgabenwenig wahrscheinlichAusgeprägte Anreize in Abhängigkeit von Auflagen & KonditionalitätenBei Kapitalbeteiligung potenziell hoch; ansonsten weitestgehend «internalisiert»
Anwendungsbereicheprinzipiell alleTeilsektoren hoherKritikalitätTeilsektoren höchster Kritikalität und systemrelevante UnternehmenTeilsektoren höchster Kritikalität und systemrelevante UnternehmenUnverzichtbare GüterTeilsektoren höchster Kritikalität und systemrelevante UnternehmenSystemrelevanteUnternehmenSystemrelevanteUnternehmen
BemerkungenFreiwilligkeit mit gewisser ReputationsfunktionAdministrative Zusatzkosten für UnternehmenAdministrative Zusatzkosten für Unternehmen und ÜberwachungsbehördeJe nach Design höhere Kapitalkosten bei den UnternehmenTrade-off mit WettbewerbsfähigkeitJe nach Design höhere Kapitalkosten bei den UnternehmenTrade-off mit WettbewerbsfähigkeitHohe Risiken und Kosten für den Staat (Bereitstellung, Ausfallrisiken)Sehr hohe Risiken und Kosten für den Staat (Bereitstellung, Ausfallrisiken, Eignerrisiken)

[i] Bemerkungen: RM: Risikomanagement; BCM: Business Continuity Management; PLB: Public Liquidity Backstop; TPO: Temporary Public Ownership.

Quelle: eigene Darstellung.

Bei der Wahl des geeigneten Massnahmenmix’ sind für Entscheidungsträger folgende Aspekte von Bedeutung:

  • Massnahmen-Effizienz (Output/Input): Staatliche Interventionen im vorliegenden Kontext bezwecken, die Resilienz der Volkswirtschaft zu erhöhen oder volkswirtschaftlichen Schaden im Krisenfall abzuwenden und erzeugen damit einen (teils erheblichen) Nutzen. Demgegenüber stehen damit verbundene Kosten. Im Fall von präventiven Massnahmen der Marktregulierung fallen die Kosten typischerweise bei den betroffenen Unternehmen an. Diese Kosten fallen – je nach Regulierungsintensität – unterschiedlich hoch aus. Im einfachen Fall steigt der administrative und organisatorische Aufwand (Governance-Vorgaben). Strengere Vorgaben zu Reservehaltung oder Unternehmensorganisation können bisweilen Kosten verursachen, aus denen Wettbewerbsnachteile erwachsen können (z.B. Liquiditätsvorschriften). Die hohen Kosten reaktiver Massnahmen tragen hingegen primär die Steuerzahlenden, sei es durch eine direkte Belastung der öffentlichen Finanzen oder indirekt durch Letzthaftungsrisiken, die mit Kreditgarantien, Liquiditätshilfen oder Unternehmensbeteiligungen einhergehen. Die Wahl eines Massnahmenpakets muss daher auf Basis sorgfältiger Kosten/Nutzen-Abwägungen getroffen werden. Dabei ist auch zu bedenken, dass viele kleine Eingriffe in verschiedenen Politikbereichen, selbst bei guter Begründung, gesamthaft zu einer Überregulierung führen können, die die wirtschaftliche Dynamik behindern kann.

  • Massnahmen-Effektivität (Zielerreichung/Input): Die genannten Massnahmen sind unterschiedlich stark wirksam. Relevante Faktoren sind nicht nur das konkrete Design, sondern auch die betroffene Branche mit ihren spezifischen Merkmalen. Mindestens genauso wichtig ist das unterstellte Risikoszenario bzw. die Krisenursache. So haben sich beispielsweise Kreditgarantien im Fall einer Pandemie bewährt. Solche Massnahmen bleiben hingegen wirkungslos, wenn der Wegfall kritischer Leistungen durch einen Cyberangriff auf die IT-Systeme eines systemrelevanten Unternehmens erfolgt oder auf physische und technische Einwirkungen zurückzuführen ist. An Bedeutung gewinnen dann Massnahmen zur Resilienzstärkung (z.B. Georedundanz oder Multicloud-Lösungen).

  • «Moral hazard»-Anreize: Können die Marktakteure (Unternehmen, Investoren etc.) davon ausgehen, dass der Staat ihr Unternehmen im Krisenfall retten wird, werden sie tendenziell risikofreudiger entscheiden, da sie so höhere Erträge erzielen können, ohne dafür eine Abgeltung zu leisten. Gleichzeitig können Anreize bestehen, Unternehmensstrukturen aufzubauen, welche die eigene Systemrelevanz steigern (Brunetti 2025). In der Folge steigt auch das Risiko für den Staat, ein Unternehmen in Schieflage retten zu müssen. Ziel der Massnahmen muss daher sein, solche «moral hazard»-Anreize mit dem Design bestmöglich zu unterbinden, z.B. mit spezifischen Auflagen und Konditionalitäten, die Management und Eigentümer im Fall staatlicher Unterstützung zu erfüllen haben (Dividendenverbot, Bereitstellungs- und Nutzungsgebühren, Transparenz, Karenzfristen etc.).

5. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die wirtschaftspolitische Praxis

Der vorliegende Beitrag leistet eine bereichsübergreifende und kriterienbasierte Betrachtung von systemrelevanten Unternehmen und ordnet am Beispiel der Schweiz das staatliche Massnahmenspektrum konzeptionell aus einer wirtschaftspolitischen Perspektive ein.

Abschnitt 2 zeigt, dass für die Kritikalität von Infrastrukturen und die Systemrelevanz von Unternehmen sinnvolle Definitionen und Kriterien vorliegen, die für wirtschaftspolitische Entscheidungen relevant sind. Die Begriffe Kritikalität und Systemrelevanz weisen wesentliche Übereinstimmungen, aber auch einige Unterschiede auf.

Die enge Verwandtschaft zwischen Kritikalität und Systemrelevanz zeigt sich im gemeinsamen Bezug auf die hohen volkswirtschaftlichen Kosten, die bei einem Ausfall eines Infrastrukturanbieters mit höchster Kritikalität bzw. eines systemrelevanten Unternehmens entstehen. Auch beruhen die beiden Begriffe auf weitgehend übereinstimmende Kriterien. So bezeichnen die Kriterien «Auswirkungen auf Bevölkerung und Wirtschaft» und «Grösse und Marktkonzentration» ähnliche Sachverhalte, dasselbe gilt für «Dependenz» und «Vernetzung».

Hingegen unterscheiden sich Kritikalität und Systemrelevanz – neben ihrem Anwendungskontext – im Kriterium der mangelnden Substituierbarkeit. Dieses ist zentral für die Systemrelevanz eines Unternehmens, wird aber bei der Beurteilung von Kritikalität im SKI-Kontext nicht ausdrücklich verwendet. Systemrelevanz ist somit enger gefasst als Kritikalität, selbst bei sehr hoher Kritikalitätsstufe. Daraus folgt, dass systemrelevante Unternehmen im SKI-Kontext eine sehr grosse Kritikalität aufweisen, umgekehrt aber nicht alle kritischen Infrastrukturen mit sehr grosser Kritikalität aus systemrelevanten Unternehmen bestehen.

Im Gegensatz zu diesem Begriffsverständnis wird im politischen Diskurs wenig auf die genannten Kriterien Bezug genommen. Gleichzeitig erscheint Systemrelevanz vermehrt als Schlagwort, das wahlweise einer Unternehmung, einer Einrichtung oder einer Berufsgruppe zugeschrieben wird. Diese mögen zwar alle wichtige volkswirtschaftliche Leistungen erbringen, erfüllen die Kriterien für Systemrelevanz aber letztlich nicht. In diesen Fällen dient der Begriff meist der Durchsetzung von Partikularinteressen. Dies zeigt, dass die kriterienbasierte Anwendung von Systemrelevanz wichtig ist für eine kohärente wirtschaftspolitische Beurteilung. Gleichwohl verbleibt ein gewisser Ermessenspielraum, der auch von Krisenursache sowie dem wirtschaftspolitischen und konjunkturellen Umfeld abhängen kann. Dies kann insgesamt dazu führen, dass im politischen Prozess entweder die Forderungen nach Unterstützung aus dem Umfeld der Betroffenen mehr Gehör erhalten und/oder sich die politischen Entscheidungsträger einem stärkeren Druck gegenübersehen, staatlich zu handeln.

In Abschnitt 3 ergibt die Analyse anhand der drei Kriterien folgendes Bild: Die Kriterien Grösse und Marktanteil sowie Vernetzung sind oft hinreichend erfüllt, hingegen erscheint eine mangelnde Substituierbarkeit nur selten plausibel. Daraus folgt, dass grundsätzlich nur die grössten Banken als systemrelevant in Betracht kommen. Die Frage, ob grosse Stromunternehmen als systemrelevant zu beurteilen sind, ist prinzipiell zu verneinen, wobei staatliche Nothilfe mit Blick auf die Krisenursache im Einzelfall vertieft zu prüfen ist. Zwei Punkte sind überdies anzuführen: Erstens dürften die Swisscom und die SBB zwar die drei Kriterien zur Systemrelevanz erfüllen, da sie aber in öffentlichem Besitz sind, wäre ein massgeblicher Leistungsausfall letztlich von den Eigentümern zu verantworten. Zweitens fragt sich beim Teilsektor IT-Dienstleistungen, ob ein weitreichender Ausfall eines grossen Anbieters tatsächlich in nützlicher Frist substituierbar wäre. Denkbar sind in diesem Bereich auch Ausfallszenarien, die nicht auf betriebswirtschaftliche Schwierigkeiten zurückzuführen sind.

Wie in Abschnitt 4 aufgezeigt, ist das primäre Ziel im Umgang mit kritischen Infrastrukturen und systemrelevanten Unternehmen, grossen volkswirtschaftlichen Schaden aufgrund eines Leistungsausfalls abzuwenden. Die kriterienbasierte Identifikation der Kritikalität bzw. Systemrelevanz setzt die Leitplanken, um erstens den Handlungsbedarf einzuschätzen und zweitens adäquate Massnahmen zu ergreifen. Dazu besteht ein Massnahmenspektrum unterschiedlicher Eingriffstiefe, das die Klärung der zuständigen Staatsebene voraussetzt. Auf der einen Seite des Spektrums entfalten beispielsweise Vorgaben zur guten Unternehmensführung präventive Wirkung und zielen darauf ab, die Resilienz gegenüber exogenen Ereignissen zu stärken und die Wahrscheinlichkeit einer staatlichen Unterstützung zu senken. Auf der anderen Seite stehen sehr weitreichende Instrumente wie Schutzschirme oder PLBs sowie im Extremfall Varianten staatlicher Unternehmensbeteiligung. Diese für den Staat potenziell kostspieligen Massnahmen bezwecken, die Folgen eines Leistungsausfalls, d.h. die volkswirtschaftlichen Kosten im Krisenfall zu senken.

Gerade bei weitreichenden Absicherungsinstrumenten wie Schutzschirmen oder PLBs zur Liquiditätssicherung ist zu bedenken, dass die Fehlanreize einer impliziten oder expliziten Staatsgarantie («moral hazard») zunehmen. Werden solche Instrumente eingesetzt, sind sie mit umfassenden Vorgaben zu versehen, um den Gefahren einer Staatsgarantie zu begegnen und das Letzthaftungsrisiko der öffentlichen Hand zu begrenzen.

Anhang

Box A1 Beispiele staatlicher Unterstützung bei Unternehmens- und Branchenkrisen aus der jüngeren Wirtschaftsgeschichte der Schweiz.

Swissair 2001

Als Antwort auf die Liberalisierung in der internationalen Luftfahrt Anfang der 1990er Jahre und dem verschärften Wettbewerb entschied sich die Swissair 1997 für die «Hunter-Strategie». Ziel war es, mit dem Aufbau einer Qualitätsallianz durch Beteiligungen an kleineren Airlines unter dem Dach der neuen SAir Holding kompetitive Grösse zu erreichen. Eigenständigkeit wurde damit der Fusion mit gleichberechtigten Partnern bevorzugt. Die Strategie erwies sich als kostspielig. Hohe Verluste bei den Beteiligungen und eine sinkende Rentabilität führten den Konzern in die Überschuldung und in eine Liquiditätskrise, die am 2. Oktober 2001 in der Einstellung des Flugbetriebs gipfelte.

Nachdem der Bund zuvor die Gewährung einer Kreditbürgschaft ausgeschlossen hatte, sicherte er Finanzmittel in Form von Darlehen und à-fonds-perdu-Beiträgen von über 1 Milliarde Franken zu für einen reduzierten Betrieb bis zur Gründung der neuen «Swiss International Airlines» im April 2002. An der neuen Muttergesellschaft «Swiss International Holding» waren der Bund sowie einzelne Kantone und Gemeinden mit rund 600 Millionen Franken bzw. 300 Millionen Franken beteiligt. Das Engagement der öffentlichen Hand wurde primär mit standort- und beschäftigungspolitischen Argumenten begründet. Die neu gegründete Gesellschaft erwies sich als wirtschaftlich fragil und wurde im Jahr 2007 von der Lufthansa für etwas mehr als 300 Millionen Franken übernommen. Seither arbeitet sie unter der Marke «Swiss» als profitable Tochtergesellschaft.

Schweizer Uhrenindustrie in den 1970er Jahren

Die Schweizer Uhrenindustrie bestand aus mehreren hundert kleinen und mittleren Betrieben und beschäftigte vornehmlich im Jurabogen über 90’000 Personen. Als japanische Produzenten Ende der 1960er Jahre die technologisch neuen Quarzuhren auf den Markt brachten, vermochten die Schweizer Betriebe mit ihren stark fragmentierten Produktionsstrukturen es nicht, mit dem Innovationssprung aus Japan Schritt zu halten. Der Marktanteil und die Beschäftigung sanken bis Anfang 1980er Jahre stark, viele Traditionsmarken gerieten in wirtschaftliche Schieflage.

Ein privatwirtschaftliches Konsortium unter Führung von Schweizer Grossbanken unterstützte die Uhrenindustrie mit Krediten in Höhe von rund 900 Millionen Franken bei der Restrukturierung und Neupositionierung der Branche: Die beiden notleidenden Holdinggesellschaften SSIH und ASUAG wurden zur SMH fusioniert (Société Suisse de Microélectronique et d’Horlogerie, später Swatch Group), die Produktion wurde auf zwei Segmente – Luxussegment und Massenmarkt – aufgeteilt.

Der Bund konzentrierte seine Unterstützung auf die Moderation der Restrukturierungsprozesse, auf arbeits- und regionalpolitische Massnahmen (u.a. «Bonny-Beschluss» 1979) sowie auf die Förderung kantonaler Strukturmassnahmen. Bund und Kantone unterliessen es, mit direkten Massnahmen wie Kreditgarantien, Kapitalspritzen oder Beteiligungen zu intervenieren. Die Uhrenbranche hat sich im Lauf der 1980er Jahre erholt und trägt heute zum Export der Schweizer Wirtschaft bei.

Stahl Gerlafingen AG (2024)

Die Unternehmung «Stahl Gerlafingen AG» im Kanton Solothurn blickt auf eine über zweihundert jährige Geschichte in der Stahlverarbeitung zurück und galt in den 1960er Jahren als wirtschaftliches Rückgrat der Region mit rund 5000 Beschäftigten.

Im Umfeld weltweiter Stahl-Überkapazitäten wuchsen die bereits hohen Produktionskosten der Stahl Gerlafingen AG ab 2022 zusätzlich: Anders als seine europäischen Konkurrenten konnte das Stahlwerk nicht von den Subventionen der Strompreise profitieren, mit welchen die Nachbarländer den Energiepreisschock abfederten. Hinzu kam, dass die EU die zollfreien Kontingente für Stahlimporte aus der Schweiz per Anfang 2023 aufhob. In der Folge erzielte das Werk erhebliche Verluste. Um eine Insolvenz abzuwenden, wurde der Bundesrat um Entlastung bei den Stromkosten ersucht.

Der Bundesrat wies diese Forderung zurück mit der Begründung, dass die Schweiz keine Industriepolitik betreibe und keine gesetzliche Grundlage für eine Vergünstigung bei den Stromkosten bestehe. Aus dem Parlament heraus wurde jedoch ein Hilfspaket geschnürt, das der Bundesrat als Verordnung im März 2025 verabschiedete. Es bietet den beiden Stahlwerken sowie Aluminiumherstellern in der Schweiz einen Rabatt auf die Stromnetzgebühren während vier Jahren in Höhe von insgesamt 37 Millionen Franken. Zu den Kernauflagen zählt neben einer Beschränkung von Bonuszahlungen und Dividendenausschüttungen, dass sich der Standortkanton mit mindestens der Hälfte der Bundeshilfe beteiligt. Bisher hat einzig die Stahl Gerlafingen AG einen Antrag auf Unterstützung gestellt. Die Unterstützung ist derzeit im Parlament des Kantons Solothurn hängig.

Notes

[4] So argumentiert Hübscher (2020), dass «Systemrelevanz zuerst ein politischer Begriff ist», dieser wurde in der Finanzkrise geprägt und seit Corona wird er «hyperinflationär» genutzt. Systemrelevanz werde stets mit Partikularinteressen befüllt.

[5] Anknüpfungspunkte bestehen sodann bei Arbeiten zum Umgang mit dem breiteren Themenfeld «fiscal risks» und auch staatlich beherrschte Unternehmen, vgl. beispielsweise IMF (2016a, 2016b), IMF (2020) und OECD (2024). Darüber hinaus befassen sich zahlreiche angelsächsische Arbeiten mit staatlichen Interventionen zugunsten von Unternehmen in Schwierigkeiten. Der Congressional Research Service (2020) bietet einen Überblick über wichtige Fälle staatlicher Unterstützung in den Vereinigten Staaten, während Dellisanti & Wagner (2018) und Lucas (2024) deren politische, ökonomische und fiskalische Dimensionen analysieren.

[6] Soweit Ereignisse und Entwicklungen im Kontext von kritischen Infrastrukturen oder systemrelevanten Unternehmen die Aufgabenerfüllung des Bundes gefährden, werden sie auch im Risikomanagement Bund erfasst und gesteuert (Eidgenössische Finanzverwaltung 2024). Der SKI-Ansatz des BABS bezieht sich auf Risiken aller Infrastrukturen, ungeachtet deren Eigentümerschaft.

[7] Anhand dieser Kriterien ist auch im Bankengesetz der Begriff der Systemrelevanz definiert (Art. 8 Abs. 2 BankG, SR 952.0).

[8] Im Bereich der Finanzstabilität gibt es derzeit eine Diskussion über den Begriff «banks systemic in failure». Das Financial Stability Board (FSB 2023) führt diese Thematik im Bericht «2023 Bank Failures: Preliminary lessons learnt for resolution» ein. In einer Erklärung des FSB (2024) wird der Begriff weiter präzisiert und seine Tragweite über die G-SIBs hinaus verdeutlicht.

[9] Im Nationalrat wurde bezüglich Systemrelevanz die Motion 23.3485 eingereicht. Sie verlangte, unabhängig von der Branche zu definieren, welche Unternehmen systemrelevant sind, und einen Garantiefonds einzurichten. Die Motion wurde Ende 2024 zurückgezogen.

[10] Verfassungsgrundlage für die Delegation von Bundesaufgaben ist Art. 178 Abs. 3 BV. Die «Gewährleistungsverantwortung» wird in der Corporate Governance-Literatur breit erörtert, vgl. z.B. Bundesrat (2006), Corporate Governance-Bericht Ziff. 2.1.

[11] Eine angrenzende Betrachtungsweise wird von Schneemann et al. (2020) für Deutschland präsentiert. Sie identifizieren «systemrelevante Branchen» aufgrund ihrer Verflechtung mit den vor- und nachgelagerten Branchen und der makroökonomischen Effekte eines Produktionsausfalls. Als ökonomisch systemrelevante Branchen werden vorab Handel und Logistik, Nahrungs- und Genussmittel sowie Autobau identifiziert; empfindliche Beschäftigungseffekte wären zudem bei den Unternehmensdienstleistungen, Gastgewerbe sowie im Kultur- und Unterhaltungsbereich zu erwarten. Der Beitrag bezieht sich auf die Kriterien «Grösse und Marktkonzentration» sowie «Vernetzung», die kurzfristige Substituierbarkeit wird nicht thematisiert.

[12] Wo nicht anders vermerkt, basieren die Angaben auf den öffentlich zugänglichen Informationen wie Geschäftsberichten oder Publikationen von Branchenverbänden sowie auf den «Faktenblättern» zu den betrachteten Teilsektoren (BABS, 2023).

[13] Um die Strombranche widerstandsfähiger zu machen und volkswirtschaftliche Risiken zu verhindern, sollte der bis 2026 befristete «Rettungsschirm» für grosse Stromunternehmen (FireG, SR 734.91) durch eine umfassende Regulierung abgelöst werden. Die Konsultation in 2024 hat ergeben, dass neue Regelungen zwar unbestritten sind, die vorgeschlagenen Massnahmen – insbesondere Mindestanforderungen an Liquidität und Eigenkapital – auf Widerstand stossen. Kritisiert wurde, dass solche Anforderungen Investitionen hemmen und die Versorgungssicherheit gefährden könnten. Ein neuer Entwurf zur Revision des Stromversorgungsgesetzes ist in Arbeit. Dabei sollen auch die Vorgaben zu Liquidität und Eigenkapitel im Sinn der Motion Herzog (22.4132) überprüft werden. Diese Arbeiten erfordern, dass der befristete «Rettungsschirm» bis Ende 2031 verlängert wird (UVEK 2025).

[14] Dabei handelt es sich um das Zahlungssystem Swiss Interbank Clearing (SIC), die zentrale Verwahrungsstelle SIX SIS und das Effektenabwicklungssystem SECOM sowie die zentrale Gegenpartei SIX x-clear. Die SNB spricht nach älterer Terminologie von «systemisch bedeutsamen» Finanzmarktinfrastrukturen» (SNB-Webseite, Stand 7.5.2025).

[15] Hess (2019) weist darauf hin, dass die Systemgrenzen zur Sicherstellung der Finanzstabilität tendenziell zu erweitern sind im Zug von neueren Marktentwicklungen (z.B. Eintritt von Nichtbanken im Kredit- und Hypothekargeschäft) sowie technologischen Entwicklungen (zentrale Bedeutung IT-Leistungen, Risiko Cyberattacken; Kryptowährungen und neue Finanzprodukte).

[16] Eine konzeptionelle Darstellung zur Frage der Systemrelevanz der Schweizer Luftfahrt bietet Wittmer (2021).

Danksagung

Wir danken Sabine D’Amelio-Favez, Arie Gerszt, Jonas Vetter, Sandra Daguet, Eric Scheidegger, Ronald Indergand, Nikolas Wallart, Mathias Spicher, Christoph König, Nick Wenger und Hans Peter Binder für wertvolle Anmerkungen, den Editoren und dem anonymen Gutachter für hilfreiche Kommentare und Anregungen sowie Hélène Gugler für ihre Forschungsassistenz im Abschluss dieser Arbeit.

Konkurrierende Interessen

Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Autorennotiz

Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Version des Working Papers Nr. 28 der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Diese Arbeit spiegelt nicht notwendigerweise die offiziellen Positionen des Amtes, des Departements oder des Bundesrats wider. Für die in den Arbeiten vertretenen Thesen und allfällige Irrtümer sind in erster Linie die Autoren selbst verantwortlich.

DOI: https://doi.org/10.5334/ssas.228 | Journal eISSN: 2632-9255
Language: German
Submitted on: Jul 18, 2025
Accepted on: Oct 14, 2025
Published on: Nov 21, 2025
Published by: Ubiquity Press
In partnership with: Paradigm Publishing Services
Publication frequency: 1 issue per year

© 2025 Thomas Brändle, Marc Elsener, Peter Schwendener, published by Ubiquity Press
This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 License.