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Bürokratie im Ruhestand: Eine Analyse kantonaler Ruhegehaltsregelungen für ehemalige Regierungsmitglieder in der Schweiz Cover

Bürokratie im Ruhestand: Eine Analyse kantonaler Ruhegehaltsregelungen für ehemalige Regierungsmitglieder in der Schweiz

Open Access
|Dec 2025

Full Article

1 Einleitung

«Weniger Geld für Alt-Regierungsräte» (Fend, 2020). Solche Schlagzeilen waren in den vergangenen Jahren gehäuft zu lesen und weisen deutlich auf eine Veränderung im Bereich der Ruhegehaltsreglungen hin. Seit 2008 haben 17 Kantone1 entschieden, auf die lebenslängliche Ausrichtung von Ruhegehältern zu verzichten. Expert/innen führen diese Gesetzesanpassungen auf massgebliche Kontextveränderungen seit der ursprünglichen Ruhegehaltseinführung zurück (Mariani, 2023). Dennoch halten die Kantone daran fest, weiterhin gewisse, wenn auch befristete, finanzielle Leistungen an ehemalige Regierungsmitglieder auszurichten. Im Zuge der (medialen) Diskussionen über Ruhegehälter fällt auf, dass die zugrundeliegenden Überlegungen oft unberücksichtigt bleiben. Dabei ist hervorzuheben, dass Ruhegehälter finanzielle Anreize zur zielgerichteten Verhaltenssteuerung darstellen können. Das Festhalten an den Ruhegehältern trotz bestehender Kontextveränderungen, zeugt davon, dass die kantonale Politik diese nach wie vor als wichtiges Instrument zur Verhaltenssteuerung erachtet. Aufgrund dessen nimmt vorliegender Artikel die zahlreichen kantonalen Ruhegehaltsanpassungen zum Anlass, diese vor dem Hintergrund bestehender Forschungsarbeiten zur anreizbasierten Verhaltenssteuerung vertieft auf ihre Ausgestaltung hin zu untersuchen und zu diskutieren.

Die Relevanz dieser Forschungsthematik ist in verschiedener Hinsicht gegeben. Obwohl die Mehrheit der Kantone noch heute ein Ruhegehaltssystem für aus dem Amt geschiedene Regierungsmitglieder besitzt, hat sich in der schweizerischen Forschung bis anhin kaum jemand vertieft mit der «Institution Ruhegehalt», dessen anvisierten Zielsetzungen und Anreizmechanismen befasst. Auch der Blick in die internationale Forschungsliteratur im Bereich Politikwissenschaft, Public Management und Verhaltensökonomie zeigt, dass besondere finanzielle Abgeltungen für aus dem Amt geschiedene Regierungsmitglieder per se kaum Gegenstand der Forschung sind (vgl. Brooks 2022; Gersbach & Müller, 2010).

Daher wird vorliegender Artikel zunächst in das Ruhegehalt als Institution einführen. Anschliessend werden die theoretischen Grundlagen der organisationalen Verhaltenssteuerung erläutert. Nachdem die Anreizwirkung des Ruhegehalts sowie die Veränderungen im Kontext der Schweiz aufgezeigt werden, betrachten wir die verschiedenen Ruhegehaltsmodelle bestimmter Kantone und diskutieren diese.

2 Institution Ruhegehalt

2.1 Historischer Ursprung und Begriffseinordnung

Ruhegehälter haben in der Schweiz eine lange Tradition. Der Kanton Zürich führte bereits 1926 eine gesetzliche Spezialregelung ein, um Regierungsmitgliedern, die wegen Alter, Invalidität, unverschuldeter Nichtwiederwahl oder Tod aus dem Amt scheiden, besondere finanzielle Leistungen ausrichten zu können (Regierungsrat Zürich, 2008, S. 3). Der Kanton Aargau kennt seit 1944 eine solche spezialgesetzliche Regelung (Regierungsrat Aargau, 2016, S. 6). Noch früher erfolgte die Einführung einer spezialgesetzlichen Regelung auf Bundesebene. Seit 1919 haben aus dem Amt geschiedene Bundesratsmitglieder Anspruch auf ein lebenslängliches Ruhegehalt (Di Falco, 2023). Diese Regelung besteht bis heute, wenn gleich auch bereits mehrfach politische Vorstösse deren Abschaffung gefordert haben.

Die Einführung dieser Ruhegehaltsregelungen für Regierungsmitglieder ist eng mit dem Aufkommen der beruflichen Vorsorge verknüpft. Zum Ende des 19. Jahrhunderts gründeten immer mehr Gemeinwesen eigene Pensionskassen, um den Verwaltungsangestellten eine berufliche Altersvorsorge garantieren zu können (BSV, 2014). Diese kantonalen Beamtenpensionskassen waren jedoch nicht auf die Versicherung von Personen ausgelegt, die erst im mittleren Lebensalter in die Verwaltung bzw. in das Amt eintraten und es unter Umständen nach kurzer Zeit wieder verliessen. Grund dafür war die damalige Organisation der öffentlichen Kassen nach dem Leistungsprimat (Lengwiler, 2003, S. 35). Die Rentenhöhe berechnete sich dabei nicht nach einem Prozentsatz des angesparten Kapitals, sondern nach einem Prozentsatz des versicherten Lohnes. Zur Rentenfinanzierung verlangten die damaligen Pensionskassen von den neugewählten Regierungsmitgliedern oftmals einen rückwirkenden Einkauf, was für die meisten Personen jedoch kaum realisierbar war. Auch waren im Falle des frühzeitigen Ausscheidens aus der Verwaltung (z.B. bei Nichtwiederwahl) keine oder nur unzureichende Versicherungsleistungen vorgesehen (Regierungsrat Aargau, 2016, S. 6). Darüber hinaus kam erschwerend hinzu, dass Arbeitgebende damals nicht verpflichtet waren, ihren ausgeschiedenen Arbeitnehmenden die angesparten Pensionskassenbeiträge auszuzahlen (Armingeon, 2018, S. 43). Erst die Einführung des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen und Invalidenvorsorge änderte diese Ausgangslage nachhaltig (FZG; Bundesrat, 1992).

Das oben ausgeführte System schwächte den Anreiz für ein Regierungsamt zu kandidieren und es trug umgekehrt dazu bei, dass Regierungsmitglieder aus finanziellen Gründen oftmals anstrebten, lange im Amt zu verbleiben (Regierungsrat Basel-Landschaft, 2014, S. 3). Um das Regierungsamt angesichts dieser (vorsorgerechtlichen) Problematik finanziell attraktiver zu gestalten und gleichzeitig freiwillige Rücktritte zu ermöglichen, führten zahlreiche Kantone sowie der Bund Mitte des 20. Jahrhunderts finanzielle Sonderlösungen für Regierungsmitglieder ein (Mariani, 2023).

Die historische Verbindung zur beruflichen Vorsorge kann dazu verleiten, das Ruhegehalt in seinem heutigen Begriffsverständnis als Versicherungsleistung zu verstehen. Aus einer rechtlichen Perspektive sind Versicherungsleistungen jedoch an den Eintritt eines versicherten Risikos gebunden und werden üblicherweise über Prämien finanziert (Kieser, 2020, S. 7 f.). In der Schweiz bestehen allerdings explizit «Abwahlversicherungen» für politische Mandatsträger/innen. Als öffentlich-rechtliche Körperschaft bietet bspw. die «Thurgauer Bürgschaftsgenossenschaft (TBG)» gewählten Amtsträger/innen im Gebiet der Ostschweiz eine Versicherung für den Fall einer Nichtwiederwahl an (Art. 2 Statuten; TBG, 2011). Diese Versicherung kann auf privater Basis abgeschlossen werden und die Prämienpflicht obliegt den abgesicherten Amtsträger/innen. Oftmals beteiligen sich jedoch die Gemeinden an den Prämienzahlungen für Exekutivmitglieder (SRF, 2025).

Doch gerade in Abgrenzung zu solchen Angeboten verzichtet die vorliegende Arbeit darauf, das Begriffsverständnis eines Ruhegehalts auf eine reine «Versicherungsleistung» zu reduzieren, da keine der analysierten kantonalen Ruhegehaltsregelungen eine anteilsmässige, prämienbasierte Mitfinanzierung des Ruhegehalts durch Regierungsmitglieder vorsieht. Zudem besteht für ehemalige Regierungsmitglieder oftmals ein bedingungsloser Ruhegehaltsanspruch, d.h. auch im Falle eines freiwilligen Ausscheidens. Letzteres wird damit begründet, dass man mit Ruhegehältern auch staats- und personalpolitische Zielsetzungen verknüpft (vgl. Kapitel 3). Dem würde es entgegenstehen, das Ruhegehalt einzig im Falle der Nichtwiederwahl auszurichten (Regierungsrat St. Gallen, 2014, S. 4).

Angesichts dessen liegt der vorliegenden Arbeit folgende Begriffsdefinition zugrunde: Ein Ruhegehalt gilt als eine besondere finanzielle Leistung eines Kantons für aus dem Amt geschiedene Regierungsmitglieder, welches zusätzlich zu den Ansprüchen aus der beruflichen Pensionskasse ausgerichtet wird. Die Kantone verbinden mit dem Anspruchsbestand und der späteren Ausrichtung konkrete (Verhaltens-)Zielsetzungen an (zukünftige) Regierungsmitglieder, um die Besonderheiten der Regierungsratsfunktion entsprechend adressieren zu können (Regierungsrat St. Gallen, 2014, S. 2).

2.2 Theoriegrundlagen der organisationalen Verhaltenssteuerung

Aus wissenschaftlicher Perspektive lässt sich die anreizbasierte Verhaltenssteuerung im Forschungsbereich der Motivationstheorien verorten. Ohne diese nachfolgend eingehend zu erörtern (vgl. Ritz et al., 2019, S. 508), gilt es für das Verständnis der vorliegenden Forschungsarbeit auf Erkenntnisse dieses Forschungsgebietes einzugehen.

Organisationen, ob private oder öffentliche, sind für die Zielerreichung auf die Beitragshandlungen einzelner Personen angewiesen. Um diese für die Mitarbeit motivieren zu können, bieten Organisationen im Gegenzug verschiedene Anreize. Diese können materieller, immaterieller oder ideeller Natur sein, wie bspw. Geld, Karrieremöglichkeiten oder der Organisationszweck selbst (March & Simon, 1993, S. 113 ff.). Diese Anreizbreite ist notwendig, da Menschen über unterschiedlichen Bedürfnisstrukturen verfügen und dieselben Anreize deshalb nicht für alle gleichermassen bedürfnisbefriedigend wirken. Entscheidend ist demnach stets die subjektive Wahrnehmung, ob eine positive Nutzenbilanz zwischen den Kosten der Beitragsleistung und der Anreizwirkung besteht (Bonazzi, 2008, S. 309 ff.).

Im Rahmen solcher Austauschbeziehungen besteht jedoch die Gefahr, dass Menschen je nach situativem Anreiz und individueller Präferenz zu Handlungen neigen, die sie als zufriedenstellender einstufen, sich aber nachteilig auf die Organisationsziele auswirken können (Besio, 2019, S. 6). Dies wird begünstigt, wenn die Beitragsergebnisse schwer messbar sind (Möller, 2007, S. 11 ff.). Um die Gefahr abweichenden Verhaltens bei der Anreizgestaltung zu verhindern, bieten sich verschiedene Kontrollmechanismen an. Für die Wirksamkeit von Kontrollen braucht es jedoch ein zusätzliches Sanktionsregime, da teilweise erst potenzielle negative Konsequenzen eine verhaltenssteuernde Wirkung erzielen (Möller, 2007, S. 28). Deshalb ist es oft zielführender, die Ausrichtung finanzieller Anreize für Menschen in einer Organisation von der erfolgreichen Zielerreichung der gesamten Organisation abhängig zu machen (Shapiro & Stiglitz, 1984) oder aber stärker in den Aufbau gegenseitigen Vertrauens und gemeinsamer Werte zu investieren (Miller & Whitford 2016). Inwiefern das Verhalten mittels Anreize, wie bspw. dem Ruhegehalt, gesteuert werden kann und welche organisationalen Koordinationsziele hierfür ausschlaggebend sind, wird im nachstehenden Kapitel näher erläutert.

3 Ruhegehalt als Anreizinstrument – Eine kritische Reflexion

Kantonale Verwaltungen sind institutionelle Organisationen des politischen Systems (Exekutive), deren organisationale Zielsetzung in der Vorbereitung und späteren Umsetzung von politischen Entscheidungen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme im Sinne der Gesetzgebenden (Legislative) liegt (Sager et al., 2018, S. 45 ff.).

Aufgabe von Regierungsmitgliedern ist es, diese Organisationen politisch-administrativ zu führen. Um Personen für diese Tätigkeit motivieren zu können, besteht eine Vielzahl von Anreizen. Gewisse dieser Anreize wurden dabei nicht bewusst gesetzt, sondern gehen mit der Regierungsfunktion selbst einher. Andere wiederum wurden im Rahmen politischer Entscheidfindungen bewusst verabschiedet. Dazu gehört auch das Ruhegehalt, welches man angesichts der Besonderheit der Regierungsfunktion grundsätzlich mit vier Zielsetzungen verbindet:

  • die Rekrutierung fähiger Personen trotz gewisser Opportunitätskosten;

  • die Vermeidung von Interessenkonflikten während der Amtsausübung aufgrund finanzieller Bedenken für die Zeit danach;

  • die Verhinderung einer rein finanziell bedingten Amtsverlängerung und

  • die Ermöglichung des beruflichen Wiedereinstiegs.

3.1 Erfolgskritische Einflussfaktoren für die Koordinationsziele eines Ruhegehalts

Inwiefern sich diese Zielsetzungen durch die Anreizwirkung eines Ruhegehalts im Besonderen erreichen lassen, wurde in der Schweiz bislang kaum vertieft betrachtet. Doch im Wissen, dass der «Erfolg» einer zielgerichteten Verhaltenssteuerung von unterschiedlichen Anreizfaktoren abhängt, lassen sich aus bestehenden Forschungsabreiten der Bereiche Politik- und Wirtschaftswissenschaften sowie Public Management zentrale Einflussfaktoren herleiten.

Rekrutierung fähiger Personen

Es stellt sich vorliegend die Frage, was eine Person zum Regierungsmitglied befähigt. Im schweizerischen Politiksystem, in welchem die Regierungsführung nicht einer einzelnen Person, sondern einem Gremium mehrerer gleichberechtigter Regierungsmitglieder obliegt, kommt dabei der Fähigkeit zur Kompromissfindung hohes Gewicht zu. Dies gilt umso mehr, wenn man die zahlreichen institutionalisierten Zugangs- und Mitsprachemöglichkeiten für verschiedenste Akteure mitbedenkt (Hempel, 2010, S. 281, 297 f.). Eine Umfrage unter amtierenden und ehemaligen kantonalen Regierungsmitgliedern ergab die Wichtigkeit von strategisch-analytischen Fähigkeiten, einer hohen Sozialkompetenz sowie eines profunden Verständnisses des politischen Dossiers (Beeler et al., 2019, S. 444).

Allerdings werden kantonale Regierungsmitglieder nicht von einem Expertengremium, sondern vom Volk gewählt, was die Frage nach der Motivation aufwirft. Forschungen zeigen, dass ein vergleichsweiser guter Lohn für ein politisches Mandat die Opportunitätskosten für berufstätige Personen der Privatwirtschaft senken kann und damit die Qualität der Kandidat/innen steigt. Jedoch liess sich dieser positive Zusammenhang einzig für politische Ämter tieferer Staatsebenen nachweisen, da politische Ämter auf höheren Staatsebenen aufgrund der stärkeren Visibilität und Netzwerkmöglichkeiten unabhängig vom Lohn attraktiver wirken (Braendle, 2016, S. 211).

Neben diesen externen Motivationsanreizen spielen aber auch intrinsische Faktoren eine zentrale Rolle, wie die Möglichkeit, sich für den öffentlichen Dienst engagieren zu können (Ritz et al., 2016, S. 414 ff.; Ritz, 2015, S. 1121 ff.). Dabei ist es wichtig, die externen und internen Anreizfaktoren aufeinander abzustimmen, d.h. die Entlöhnung weder zu hoch noch zu tief anzusetzen, da sonst die intrinsische durch die extrinsische Motivation verdrängt werden kann (Besley, 2005, S. 53).

Unabhängigkeit in der Amtsausübung

Das Empfinden der Bevölkerung, dass Regierungsmitglieder das Amt primär für eigene Zwecke nutzen könnten, kann sich negativ auf demokratische Systeme im Allgemeinen auswirken (Pickel, 2021, S. 8). Wichtigster Ankerpunkt, um dem entgegenzuwirken, sind in einem demokratischen System wiederkehrende Wahlen. Doch auch die Gewaltenteilung, unabhängige Kontrollinstanzen sowie freie Medien bilden zentrale Bestandteile einer institutionalisierten Rechenschaftspflicht (Rose-Ackermann, 1999, S. 143 ff.).

Gleichwohl gilt es zu betonen, dass bei politischen Entscheidungen zugunsten bestimmter Organisationen nicht pauschal ein Interessenkonflikt vermutet werden darf, weshalb dies nicht unmittelbar mit einer Annäherung an zukünftige potenzielle Arbeitgeber/innen gleichzusetzen ist (Baturo & Mikhaylov, 2016, S. 351). Und dennoch können Bedenken über die spätere Karriere das Verhalten während der Regierungszeit beeinflussen (Leaver, 2009). Deshalb kann die unabhängige Amtsausübung auch dann gefährdet sein, wenn das Regierungsverhalten darauf ausgelegt ist, politisch unpopuläre Entscheidungen zum Schutz der eigenen Reputation zu vermeiden (sog. «blame avoidance», Hinterleitner & Sager, 2019, S. 412 ff.).

Wie Carey (1994) jedoch aufgezeigt hat, hat eine bedingungslos zugesicherte Rente für Politiker/innen keine positive Wirkung auf eine besonders verantwortungsvolle Amtsausführung. Ist die Rentenausrichtung jedoch an die Einhaltung des Rechts (z.B. keine Korruptionstatbestände) geknüpft und besteht zugleich eine starke institutionelle Überwachung, kann dies für Politiker/innen disziplinierend wirken (Becker & Stigler, 1974). Diese Erkenntnis verdeutlicht, dass nur das Zusammenspiel verschiedenster Vorkehrungen eine unabhängige Amtsausübung sicherstellen kann (Rose-Ackermann, 1999, S. 225 ff.).

Verhinderung finanziell motivierter Amtsverlängerung

Zwar ist der historische Ursprung von Ruhegehältern eng mit der unzureichenden Altersvorsorge verknüpft, doch hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Vorsorgesituation für sämtliche Arbeitnehmer/innen in der Schweiz massiv verbessert. Und auch wenn es vorsorgetechnisch noch heute vorteilhafter ist, bis zum gesetzlichen Rentenalter berufstätig zu sein, so sollte eine Weiterarbeit darüber hinaus nicht mehr notwendig sein. Das gilt auch für Regierungsmitglieder. Daher stellt sich die Frage, wie das Ziel der Amtserhaltung im heutigen Kontext zu beurteilen ist.

Forschungen zeigen, dass amtierenden Regierungsmitgliedern bei Wiederwahlen eine gewisse Unabhängigkeit über den Verbleib im Amt zukommt. Sie verfügen über bis zu 17 Prozent höhere Wiederwahlchancen, sofern die abgeschlossene Legislaturperiode «skandalfrei» verlief (Milic, 2014, S. 447). Dies kann zu langen Amtszeiten und einer stärkeren Personifizierung des Regierungsamts führen, wodurch eine zunehmende Machtballung bei einzelnen Personen entstehen kann. Das auf Konkordanz- und Konsensdemokratie beruhenden schweizerischen Politiksystem möchte jedoch genau eine solche Machtkonzentration bei einzelnen Personen verhindern (Ritz et al., 2019, S. 475 ff.).

Insofern ist anzunehmen, dass der vorliegenden Zielsetzung auch stark staatspolitische Überlegungen zukommen, nämlich die grundsätzliche Vermeidung langer Amtszeiten. Dabei gilt es zu bedenken, dass ein Rücktrittsentscheid mitunter auch stark von nicht-finanziellen Faktoren beeinflusst wird. Gerade das Amtsprestige oder die Möglichkeit politisch zu gestalten, wirken sich besonders stark auf einen Amtsverbleib aus (Diermeier et al., 2005, S. 349). Diese Anreizwirkung verstärkt sich zusätzlich, wenn das politische Amt gut entlöhnt ist (Mattozzi & Merlo, 2008, S. 607).

Erleichterung des schwierigen beruflichen Wiedereinstieges

Aus Sicht der Privatwirtschaft sowie öffentlichen Arbeitgebenden kann die Einstellung ehemaliger Regierungsmitglieder sehr attraktiv sein, da man ihnen ein starkes Führungspotenzial sowie eine gute Vernetzung attestiert. Verfügt ein Regierungsmitglied bereits über sektorspezifische Erfahrungen oder hat es eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung, gelingt der berufliche Wiedereinstieg noch einfacher. Die Parteizugehörigkeit ist hingegen kein ausschlaggebender Faktor für den Wiedereinstieg, jedoch die wahrgenommene Kompetenz (Baturo & Mikhaylov, 2016).

Nicht unwesentlich für den beruflichen Wiedereinstieg ist jedoch die Art des Amtsendes (bspw. durch Rücktritt oder Nichtwiederwahl). Forschungen zu Legislativämter zeigen, dass eine Niederlage bei Wiederkandidatur die politischen Amtszeit negativ beeinflussen kann (Mattozzi & Merlo, 2008). Eine vergleichbare Forschung für Exekutivämter fehlt. Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass das Gelingen des beruflichen Wiedereinstieges im Falle einer Abwahl stark von den Umständen sowie dem Umgang mit diesen durch das Regierungsmitglied abhängt (Fehr et al., 2019, S. 401).

3.2 Kontextveränderungen als Ausgangspunkt für Gesetzesänderungen

In Bezug auf die die vorstehenden Ausführungen ist anzunehmen, dass der Bestand und die Ausgestaltung von Ruhegehaltsregelungen mitunter Ausdruck historisch-politischer Realitäten ist. Die zahlreichen kantonalen Gesetzesanpassungen der vergangenen Jahre weisen allerdings auf einen Wandel dieser Realitäten hin, ausgelöst durch die stark veränderten kontextuellen Rahmenbedingungen.

Hierbei hat sich die gesetzliche Vorsorgesituation massiv verbessert. Noch wichtiger ist vorliegend aber das deutlich stärker polarisierte politische Klima (Di Capua et al., 2017; Mariani, 2023). Seit dem Aufstieg der Schweizerischen Volkspartei (SVP) zu Beginn der 1990er Jahre besteht ein verstärkter «Anti-Privilegiendiskurs». Im Zusammenhang mit den Ruhegehältern zeigte sich dies erstmals, als Ruth Metzler 2003 nicht als Bundesrätin wiedergewählt wurde und in der Folge ihr lebenslänglicher Ruhegehaltsanspruch in den Medien kritisch diskutiert wurde (Bühlmann, 2024, S. 2).

Deutlich stärker waren die politischen Reaktionen jedoch bei Fällen, bei welchen das Verhalten eines Regierungsmitgliedes direkt im Zentrum stand. Im Kanton Zürich führte bspw. die Klage einer ehemaligen Regierungsrätin für ihr lebenslängliches Ruhegehalt bis vor das Bundesgericht zur Lancierung einer Volksinitiative durch die Junge SVP Zürich für die Abschaffung solcher Ruhegehälter – welche später aufgrund eines indirekten Gegenvorschlages zurückgezogen wurde (Häne, 2010). Im Kanton Genf hingegen nahm die Stimmbevölkerung 2021 eine Volksinitiative für die Aufhebung des lebenslänglichen Ruhegehalts an, nachdem bekannt wurde, dass ein Regierungsmitglied trotz rechtskräftiger Verurteilung wegen Bestechung einen lebenslänglichen Ruhegehaltsanspruch hatte (Mariani, 2023).

Im Kontext dieser privilegienkritischen Stimmung erscheint die Argumentation für lebenslängliche Ruhegehälter für ehemalige Regierungsmitglieder gegenüber einem Teil der Bevölkerung erschwert. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um ein junges Regierungsmitglied handelt – was seinerseits auf eine weitere Kontextveränderung hinweist. Denn es werden vermehrt auch jüngere Personen in Regierungen gewählt. Es scheint heutzutage nicht mehr aussergewöhnlich, Regierungsmandate nicht als Endpunkt einer (politischen) Laufbahn anzusehen, sondern als Sprungbrett für eine weitere Karriere zu nutzen (Mariani, 2023).

Trotz dieser Kontextveränderungen hält die überwiegende Mehrheit der Kantone an Ruhegehältern fest, verzichtet jedoch auf die lebenslängliche Ausrichtung. Es ist deshalb anzunehmen, dass die (kantonale) Politik diese im Grundsatz für notwendig erachtet, jedoch deren Ausgestaltung zur Erreichung der anvisierten Zielsetzungen neu beurteilt hat.

4 Vorgehensweise zur Analyse der Gesetzesänderungen

Mit dem Ziel, die kantonalen Gesetzesänderungen zu analysieren und vor dem Hintergrund bestehender Forschungsarbeiten zur anreizbasierten Verhaltenssteuerung zu diskutieren, wurden diejenigen Deutschschweizer Kantone untersucht, welche seit 2008 ihre Ruhegehaltsregelung angepasst und im Zuge dessen die lebenslängliche Ausrichtung abgeschafft haben. Hierzu gehören die Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, St. Gallen und Zürich.2 Im Unterschied zu früheren Gesetzesanpassungen ist für diejenigen seit 2008 zusätzlich von einem verstärkt polarisierten Diskurs als kontextueller Einflussfaktor auszugehen. Denn von den insgesamt 17 Gesetzesänderungen seit 2008, wurden nicht weniger als zwölf durch eine politische Forderung aus dem Kantonsparlament oder durch eine Volksinitiative angestossen.

Grundlage für die Gesetzesanalyse war ein zuvor erarbeiteter Untersuchungsrahmen (vgl. Abbildung 1). Diesem liegt die Beobachtung zugrunde, dass die Zielsetzungen eines Ruhegehalts auf verschiedene Phasen eines Regierungsmandates ausgelegt sind und diese sich entlang des Regierungsmandates chronologisch strukturieren lassen.

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Abbildung 1

Methodischer Untersuchungsrahmen zur Analyse Gesetzänderungen (Eigene Darstellung).

Entlang dieser vier Phasen wurden die jeweiligen kantonalen Ruhegehaltsregelungen auf ihre Ausgestaltung hin untersucht. In der Annahme, dass die Motivationsanreize den Verhaltenszielsetzungen folgen (Möller, 2007, S. 14 f.), soll mittels der Analyse der neuen Anreizgestaltung auch geprüft werden, ob die Kantone einzelne Zielsetzungen stärker gewichten. Neben den eigentlichen Gesetzesbestimmungen wurden dafür auch die Gesetzesbotschaften und Beratungsprotokolle, sowie die ursprüngliche Ruhegehaltsregelung untersucht. Letztere sollte als eine Art Referenzpunkt dienen, indem sich am Übergang von der alten zur neuen Regelung beobachten lässt, worauf der Fokus gelegt wurde. Diese «intrakantonale» Untersuchung bildete anschliessend die Grundlage für eine «interkantonale» Vergleichsanalyse, deren Ziel es ist, strukturelle Ähnlichkeiten und Unterschiede zu identifizieren. Nähere Erläuterungen zu den Untersuchungen sind ebenfalls dem Online-Appendix zu entnehmen, welcher zusätzliche Informationen sowie die Berechnungen der Ruhegehaltsansprüche enthält.

5 Ergebnisse – Eine Kategorisierung der Ruhegehaltsmodelle

Die Analyse der kantonalen Ruhegehaltsregelungen zeigt, wie unterschiedlich die zur Zielerreichung gewählten Anreizmodelle sind. Keines der untersuchten Ruhegehaltsmodelle ist mit einem anderen vollständig deckungsgleich. Auf der Basis gewisser Ähnlichkeiten lassen sich diese allerdings in bestimmte Kategorien einteilen und zusammenfassen.

5.1 «Die Amtsdauer entscheidet»

Die Kantone Basel-Stadt und St. Gallen haben ein Ruhegehaltsmodell gewählt (Abbildung 2), welches stets dieselbe Ausrichtungshöhe vorsieht, jedoch die Ausrichtungsdauer von der Länge der Amtszeit abhängt. Dabei sehen beide Kantone eine maximale Ausrichtungsdauer vor (SG 48 Monate / BS 36 Monate), doch unterscheiden sich die Ausrichtungsmodalitäten. In St. Gallen verlängert sich die Dauer der Ruhegehaltsausrichtung pro Amtsjahr und wird ab dem ersten Jahr ausgerichtet. In Basel-Stadt hingegen besteht ein Anspruch erst nach einer absolvierten Legislatur und auch die Ausrichtungsdauer erhöht sich nur alle vier Jahre.

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Abbildung 2

Ruhegehaltsmodell «Die Amtsdauer entscheidet» (Eigene Darstellung).

Mit der Anbindung des Ruhegehaltsanspruch an die Amtsdauer statt an das Lebensalter gehen diese Kantone davon aus, dass ein Regierungsmitglied sich mit zunehmender Amtsdauer vom erlernten Beruf entfernt und ein Wiedereinstieg deswegen zunehmend schwieriger wird. Dies soll durch eine längere Ausrichtungsdauer entsprechend berücksichtigt werden. Gleichzeitig möchte man mit der Begrenzung der Ausrichtungsdauer verhindern, dass (amts-)ältere Regierungsmitglieder einen Anreiz erhalten, aus rein finanziellen Gründen länger im Amt zu bleiben.

5.2 «Die Wahl zum Regierungsmitglied entscheidet – stete Gleichbehandlung»

Das Ruhegehaltsmodell der Kantone Bern und Schwyz zeichnet sich durch seine Unabhängigkeit vom Lebensalter, Amtsalter oder Ausscheidegrund aus (Abbildung 3). Allerdings sind der Systemähnlichkeit der beiden Kantone auch Grenzen gesetzt. In Bern erfolgt die Ausrichtungsdauer monatsweise während drei Jahren, in Schwyz hingegen wird eine einmalige Abgangsentschädigung (sechs Monatslöhne) ausgerichtet. Daraus ergeben sich bezogen auf den absoluten Betrag enorme Unterschiede.

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Abbildung 3

Ruhegehaltsmodell «Die Wahl zum Regierungsmitglied entscheidet – Stete Gleichbehandlung» (Eigene Darstellung).

Indem weder der Ruhegehaltsanspruch noch die Ausrichtungshöhe an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, möchte man verhindern, dass Regierungsmitglieder aus rein finanziellen Gründen länger im Amt bleiben oder, dass sie dieses zu einem spezifischen Zeitpunkt verlassen. Die «Unabhängigkeit» des Ruhegehaltsanspruchs kann sich im Grundsatz positiv auf die Rekrutierung von Personen unterschiedlichen Alters auswirken. Doch es ist anzunehmen, dass sich dieser Effekt je nach absolutem Ruhegehaltsbetrag etwas stärker auf ältere oder jüngere Personen auswirken kann. Denn älteren Regierungsmitgliedern drohen bei einem ungewollten Ausscheiden höhere Opportunitätskosten, was in Bern mit einem relativ hohen und in Schwyz mit einem vergleichsweise tiefen Betrag abgesichert wird.

5.3 «Das Alter entscheidet»

Das Ruhegehaltsmodell von Basel-Landschaft und Aargau sieht grundsätzlich zwei Systeme vor (Abbildung 4): Eine Abgangsentschädigung und ein Übergangsrentensystem. Welches der beiden zur Anwendung kommt, hängt vom Alter zum Zeitpunkt des Ausscheidens ab.

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Abbildung 4

Ruhegehaltsmodell «Das Alter entscheidet» (Eigene Darstellung).

Für die Ausrichtungshöhe und -dauer der Abgangsentschädigung sind das Lebensalter, die Amtsdauer und der Ausscheidegrund unwesentlich. Jedoch sind diese Faktoren für die Bestimmung der Übergangsrentenhöhe entscheidend. Nach der Überschreitung der Altersschwelle von 54 Jahren in Basel-Landschaft und 57 Jahren in Aargau bestimmt sich die Ausrichtungshöhe primär nach der Amtsdauer. Beide Kantone richten das Maximum nach zwölf Amtsjahren aus. Während Basel-Landschaft bei weniger als zwölf Amtsjahren eine Kürzung in Abhängigkeit der geleisteten Amtsjahre und Lebensalter vorsieht, erfolgt in Aargau eine Kürzung zusätzlich noch in Abhängigkeit des Ausscheidegrundes. Die Ausrichtungsdauer dieser Übergangsrente dauert bis zum von der Pensionskasse reglementarisch definierten Pensionsalter (BL 60. Altersjahr / AG 65. Altersjahr). Im Anschluss daran wird eine typische Pensionskassenrente ausgerichtet. Mit diesem Modell legen die Kantone den Fokus stark auf die Absicherung älterer Regierungsmitglieder. Der berufliche Wiedereinstieg wird ab einem gewissen Alter kaum mehr für möglich gehalten und soll daher auch nicht forciert werden.

5.4 «Das Alter oder die Nichtwiederwahl entscheidet»

Die Kantone Schaffhausen und Solothurn verfügen über ein ähnliches Modell wie das Vorherige, allerdings wird vor der Altersgrenze eine Abgangsentschädigung nur bei unfreiwilligem Ausscheiden ausgerichtet (Abbildung 5). In Solothurn beträgt diese sechs Monatslöhne, in Schaffhausen wird die Abgangsentschädigung in Form von einer fast zehnjährigen Rente ausgerichtet, deren Höhe von den geleisteten Amtsjahren abhängt. Nach dem 55. Altersjahr wird auch das freiwillige Ausscheiden durch eine Ruhegehaltszahlung abgesichert. In Solothurn müssen dafür allerdings mindestens vier Amtsjahre geleistet sein, in Schaffhausen lediglich ein Amtsjahr.

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Abbildung 5

Ruhegehaltsmodell «Das Alter oder die Nichtwiederwahl entscheidet» (Eigene Darstellung).

Insgesamt bestehen ähnliche Zielsetzungen wie beim vorherigen Modell. Dennoch scheinen die beiden Kantone mit der Adressierung des Nichtwiederwahlrisikos die Attraktivität des Amtes stärker ins Zentrum rücken zu wollen. Gleichzeitig wird angenommen, dass ein freiwilliger Rücktritt geplant ist und eine Anschlusslösung besteht, weshalb kein Ruhegehalt angezeigt ist.

5.5 «Der Mix aus Alter, Amtsdauer und Ausscheidegrund entscheidet»

Das Ruhegehaltsmodell in Zürich zeichnet sich durch seinen hohen Ausdifferenzierungsgrad aus (Abbildung 6). Die Ausrichtungsdauer des Ruhegehalts ergibt sich aus einer Kombination von Alter, Amtsjahren und Ausscheidegrund.

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Abbildung 6

Ruhegehaltsmodell «Der Mix aus Alter, Amtsdauer und Ausscheidegrund entscheidet» (Eigene Darstellung).

Es ist anzunehmen, dass Zürich den Fokus auf den Ausgleich situativer Umstände legt, da das unfreiwillige Ausscheiden (bei gleichen Amtsjahren und Alter) stets höher bzw. länger abgegolten wird als ein freiwilliges Ausscheiden. Zudem vermutet man ab einem gewissen Alter einen schwierigen beruflichen Wiedereinstieg, weshalb die Ausrichtungsdauer Mitte der 50er Jahre immer am längsten ist. Da die Ausrichtungsdauer ab Alter 56 wiederum abnimmt und vermutlich auch nicht bis zum ordentlichen Pensionsalter von 65 ausreicht, wird dem Umstand des höheren Alters, insbesondere im Falle des ungewollten Ausscheidens, jedoch nur begrenzt Rechnung getragen. Deshalb kommt der Verhinderung einer finanziell bedingten Amtsverlängerung wohl auch nur eine untergeordnete Rolle zu.

6 Diskussion

Die Diskussion der Ruhegehaltsregelungen baut auf zwei zentralen Forschungserkenntnissen auf. Zum einen bedingt die Notwendigkeit einer Anreizbreite, dass man ein Ruhegehalt intersystemisch mit Blick auf den grösseren Anreizkontext analysiert. Andererseits gilt es im Wissen um die Möglichkeit abweichenden Verhaltens das Ruhegehalt als einzelnen Anreiz intrasystemisch zu diskutieren.

6.1 Intersystemische Einordnung – Die Frage nach der Effizienz

Im Rahmen des vorliegenden Artikels konnte gezeigt werden, dass die Kantone mit einem Ruhegehalt zwar verschiedene Zielsetzungen verfolgen, daneben jedoch auch weitere Anreize bestehen, die Einfluss auf diese Zielsetzungen haben können (vgl. Kapitel 3.1). Die nachstehende Abbildung 7 fasst dieses System unterschiedlicher Anreize mit ihrem Wirkungsbezug auf die Zielsetzungen zusammen.

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Abbildung 7

Das Anreizsystem als Wirkungsverbund (Eigene Darstellung).

Mit Blick auf diese Anreizbreite würde es unzureichend sein, die Zielsetzungen lediglich den Ruhegehältern zuzuschreiben. Stattdessen lassen sich diese aus einer organisationstheoretischen Betrachtung als generische personalpolitische Ziele einer Organisation charakterisieren. Namentlich geht es darum, Menschen für eine Organisation zu gewinnen (Teilnahmeentscheid), diese in ihrem Arbeitsbeitrag zu steuern (Verhaltensentscheid) und letztlich wieder eine Trennung (Austrittsentscheidung) zu ermöglichen (Ritz & Thom, 2019, S. 451 ff.). Gleichwohl zeigt die Abbildung 7, dass es dem vorliegenden Anreizsystem in seiner Motivations-, Steuerungs- und Selektionsfunktion an Abstimmung fehlt. Dies hat verschiedene Gründe.

Aus der Forschung geht hervor, welche Anreize für die Erzeugung einer Beitragshandlung im Sinne der Zielsetzungen grundsätzlich entscheidend sein können. Allerdings ist den Kantonen im konkreten Fall nicht bekannt, welcher Anreiz ausschlaggebend für den jeweiligen Verhaltensentscheid einer Person ist. So kann bspw. ein Anreiz, der aus Sicht der Kantone zur Rekrutierung fähiger Personen beitragen soll, auch dazu führen, dass die rekrutierte Person das Amt kaum mehr verlassen möchte.

Dies weist auf eine weitere Problematik hin. Bestimmte Anreize wurden von den Kantonen nicht bewusst gesetzt, sondern ergeben sich aus der Regierungsamtsfunktion, wie bspw. die Netzwerkmöglichkeiten. Da die Wahrnehmung von Anreizen nicht nur subjektiv, sondern auch mehrdimensional ist (Becker & Gieselmann, 2018, S. 410), können sich daraus für gewisse Personen unter Umständen weitere Anreize, wie bspw. eine Prestigewirkung, ergeben. Es ist daher wichtig zu verstehen, dass ein Anreizsystem stets in seiner Ganzheit auf Personen einwirkt (Willenbacher, 2017, S. 128).

Des Weiteren handelt es sich bei den Zielsetzungen nicht um erfolgsbezogene Arbeitsleistungen, die sich durch bestimmte Anreize im Sinne einer direkten transaktionalen Verbindung erzeugen lassen (Drumm, 2008, S. 460). Deshalb können die Kantone auch nur schwer kommunizieren, für welche Zielsetzung ein Anreiz gesetzt wird. Einschränkend ist festzuhalten, dass insbesondere materiellen Anreizen, deren Bemessungsgrundlage transparent in einem Gesetz geregelt ist, eine gewisse transaktionale Zielorientierung zukommt (Kunz & Quitmann, 2011, S. 64).

Die fehlende Abstimmung des vorliegenden Anreizsystems ergibt sich demzufolge aus der Schwierigkeit, die unterschiedlichen Anreize auf die individuelle Bedürfnisstruktur der einzelnen (zukünftigen) Regierungsmitglieder auszurichten.

Implikationen für das Ruhegehalt

Als politisch-administrative Organisationen müssen die Kantone stets die Höhe des Mitteleinsatzes (Input) im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel (Output) mitberücksichtigen (Ritz & Thom, 2019, S. 18 f.). Aus einer Effizienzperspektive entsteht daher die Frage, wie man das Ruhegehalt als einen Anreiz konkret ausgestaltet. Zwar haben die Kantone mit der Aufhebung der lebenslänglichen Ausrichtung dies bereits stärker berücksichtigt, doch bestehen Ruhegehälter weiter fort, weshalb es diese Frage vertieft zu prüfen gilt.

Materielle Anreize weisen eine höhere transaktionale Verbindungskompatibilität auf ein bestimmtes Ziel auf. Während im vorliegenden Fall dies für ein Fixgehalt klar scheint (Motivierung zur Beitritts- und Arbeitsleistung), fehlt dem Ruhegehalt an einer direkten Zielorientierung. Die meisten Kantone binden die Höhe und die Ausrichtungsform des Ruhegehalts entweder an die Amtsdauer oder das Lebensalter an, womit anzunehmen ist, dass man dadurch lange Amtszeiten verhindern möchte. Interessanterweise kommt es dadurch zu einer gewissen Anreizindividualisierung auf ein einzelnes Regierungsmitglied, die sich sonst bei keinem anderen Anreiz im Wirkungsverbund feststellen lässt. Allerdings erfolgt diese Anreizindividualisierung, ohne genau zu wissen, ob damit die individuellen Präferenzen der Regierungsmitglieder präzise adressiert sind und dies zur Zielerreichung beiträgt. Zwar könnten Regierungsmitglieder in ihrer persönlichen Nutzenabwägung stärker in Betracht ziehen, das Amt zu verlassen, weil der Wert des gegenüberstehenden Anreizes steigt. Doch ist die Nutzenfunktion individuell und muss nicht von jedem Regierungsmitglied als Wertsteigerung wahrgenommen werden (Bonazzi, 2008, S. 321). Zudem bleiben diejenigen Anreize, welche initial für die Mandatsübernahme waren und es für den Amtsverbleib noch sind, bestehen und können damit die Nutzenabwägung ebenfalls mitbeeinflussen. Schliesslich erfolgt die Kommunikation dieser Zielorientierung lediglich implizit durch die Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage (Gesetz). Ein Regierungsmitglied muss diese Zielorientierung jedoch nicht zwingend auch so wahrnehmen.

Angesichts dieser Problematik scheint es aus einer Effizienzperspektive fraglich, ob bei einer Ruhegehaltsregelung Differenzierungen und damit eine Individualisierung angezeigt sind. Denn solange dabei nicht das gesamte Anreizsystem mitberücksichtigt wird, läuft ein Kanton Gefahr, Mittel einzusetzen, deren Wirkung unklar sowie stark von der anspruchsberechtigten Person beeinflussbar sind. Diesen Bedenken haben lediglich die Kantone Bern und Schwyz Rechnung getragen, indem sie auf eine Anbindung des Ruhegehalts an die Amtsdauer oder das Lebensalter verzichteten.

Unsere Berechnungen haben zudem ergeben, dass sich durch die Anbindung von Ruhegehältern an bestimmte Faktoren oftmals enorm hohe Summen ergeben. Die genauen Resultate bzgl. der Ruhegehaltsansprüche der untersuchten Kantone sowie die Berechnungsgrundlagen sind im Detail dem Online-Appendix zu entnehmen. Im Kontext eines ganzheitlich wirkenden Anreizsystems, bei dem materielle Anreize lediglich einen Aspekt darstellen, stellt sich aus einer Effizienzperspektive daher die Frage, inwiefern ein hohes Ruhegehalt der «Attraktivitätssteigerung» noch dient. Hinzu kommt, dass vorwiegend dem Grundgehalt eine Motivationsfunktion zur Rekrutierung zuschreibbar ist und sich dieses für ein Regierungsmitglied in allen untersuchten Kantonen auf mindestens 250‘000 CHF beläuft (Bundesrat, 2021, S 28 ff.).

Die Erkenntnis, das Ruhegehalt auf das ganzheitlich wirkende Anreizsystem abzustimmen, zeigt sich sodann auch bei der Zielsetzung der «Sicherung einer unabhängigen Amtsausübung». Diese lässt sich am effizientesten durch ein Zusammenspiel verschiedener institutioneller Vorkehrungen sicherstellen. Deshalb sollte die Ruhegehaltsausrichtung auch an die Einhaltung gewisser Amtspflichten (bspw. keine Vorteilsannahme) geknüpft werden. Allerdings sehen lediglich fünf von insgesamt neun untersuchten Kantonen eine solche explizite Verknüpfung vor. Dementsprechend droht in denjenigen Kantonen, ohne eine solche Verknüpfung schlimmstenfalls ein Mitteleinsatz trotz verfehlter Zielsetzung (vgl. hierzu Kanton Genf).

Mit dem Beginn der Ruhegehaltsausrichtung nach der Amtsausübung steht die «Förderung des beruflichen Wiedereinstieg» im Vordergrund. Um dabei eine Überhonorierung bei neuem Einkommen zu verhindern, sehen bis auf Schwyz alle Kantone Kürzungsbestimmungen vor. Mit Ausnahme des Kantons Aargau orientieren sich dabei alle Kantone an der ehemaligen Regierungsratsbesoldung und definieren damit ein sehr hohes Absicherungsniveau. Doch im Wissen um die erworbenen Fähigkeiten, den hohe Lohn, die Netzwerkmöglichkeiten eines Regierungsmitglieds oder dessen Attraktivität aus Sicht der Wirtschaft, ist es aus einer Effizienzperspektive fraglich, inwiefern eine solch’ hohe Absicherung angezeigt ist.

6.2 Intrasystemische Einordnung – Die Frage nach der Effektivität

Während vorstehend die Ruhegehaltsregelungen im Kontext der Anreizbreite aus einer Effizienzperspektive beurteilt wurden, liegt nachfolgend der Fokus auf möglichen Zielkonflikte bei der konkreten Ausgestaltung. Hierbei wird explizit die Prüfung der Wirksamkeit der identifizierten Ruhegehaltsmodelle im Hinblick auf die damit verbundenen Koordinationsziele vorgenommen.

«Die Amtsdauer entscheidet»: Die Anbindung der Dauer des Ruhegehaltsanspruchs an die Amtsdauer im Gegensatz zum Alter, so wie es St. Gallen und Basel-Stadt vorsehen, kann sich zwar positiv auf die Rekrutierung verschiedener, insbesondere jüngerer Personengruppen auswirken. Allerdings setzt man damit den Anreiz, das Amt bis zur maximalen Ruhegehaltsausrichtung auszuüben. Es liesse sich zwar argumentieren, dass mit der maximalen Ruhegehaltshöhe auch gleich die aus Sicht der Kantone «ideale Amtsdauer» vorgegeben wird (zwölf Jahre). Dies wäre jedoch nur eine implizite Zielsetzung und droht daher lediglich, die Entscheidfindung eines Regierungsmitglieds über einen allfälligen Rücktritt zu verzerren.

«Die Wahl zum Regierungsmitglied entscheidet – Stete Gleichbehandlung»: Der Verzicht, die Ausrichtungshöhe oder -dauer weder an Amtsdauer, Lebensalter oder Ausscheidegrund anzubinden, erhöht die Klarheit einer Ruhegehaltsregelung. Denn die Regelung ist nicht auf eine bestimmte Zielsetzung ausgerichtet, was einer verzerrenden Anreizwirkung unter den einzelnen Zielsetzungen entgegenwirkt. Entscheidend ist jedoch stets die konkrete Ausgestaltung. So haben die Kantone Bern und Schwyz beide auf die Streichungsandrohung bei Verletzung von Amtspflichten verzichtet, was der Sicherung der unabhängigen Amtsausübung schadet. Zudem richtet Bern ein vergleichbar hohes Ruhegehalt aus, was sich negativ auf die Förderung des beruflichen Wiedereinstieges auswirken könnte.

«Das Alter entscheidet»: Das Ruhegehaltsmodell von Aargau und Basel-Landschaft geht mit zunehmendem Alter von einem schwierigen beruflichen Wiedereinstieg aus, weshalb sie ab einem gewissen Lebensalter eine Übergangsrente bis zur ordentlichen Pension vorsehen. Dabei wirken die gesetzten Altersgrenzen von 54 Jahren in Basel-Landschaft und 57 Jahren in Aargau sehr arbiträr und nicht mit dem ordentlichen, gesetzlichen Rentenalter abgestimmt. Dies setzt starke Anreize, das Amt auch bis zur Altersgrenze auszuüben und wertet gleichzeitig den berufliche Wiedereinstieg, unabhängig von dessen Möglichkeiten, erheblich ab.

«Das Alter oder die Nichtwiederwahl entscheidet»: Das Modell von Solothurn und Schaffhausen unterscheidet sich zum vorstehenden, indem die beiden Kantone vor Erreichung der Altersgrenze nur bei unfreiwilligem Ausscheiden ein Ruhegehalt ausrichten. Dabei zeigt sich in beiden Fällen eine gewisse Unausgewogenheit, was sich verzerrend auf die Art der Regierungsführung auswirken könnte. Schaffhausen richtet bei Nichtwiederwahl ein fast zehnjähriges Ruhegehalt aus, womit die Wahl als Sicherungsinstrument der Unabhängigkeit aus Sicht eines Regierungsmitglieds an Bedeutung zu verlieren scheint. Solothurn sichert die Nichtwiederwahl zwar wesentlich tiefer ab, doch besteht nach Überschreitung der Altersgrenze ein hohes Ruhegehalt (fehlende Verhältnismässigkeit), weshalb ein Regierungsmitglied seine Politik im Wissen um die Absicherung plötzlich ändern könnte.

«Der Mix aus Alter, Amtsdauer und Ausscheidegrund entscheidet»: Mit einer ausdifferenzierten Abhängigkeit zwischen Lebensalter, Amtsdauer und Ausscheidegrund, die gesetzlich exakt aufgeführt ist, möchte der Kanton Zürich verschiedenen situativen Umständen gerecht werden. Dies würde es einem Regierungsmitglied unmittelbar nach dessen Wahl ermöglichen, präzise zu planen, zu welchem Zeitpunkt das Ausscheiden finanziell am vorteilhaftesten wäre. Dieses System kann die Entscheidung über einen freiwilligen Rücktritt verzerren, da für jedes Regierungsmitglied ein individueller Zeitpunkt besteht, wann sich dieser am meisten lohnt.

7 Fazit

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die kantonalen Gesetzesänderungen über die Ruhegehaltsausrichtung an ehemalige Regierungsmitglieder vertieft zu untersuchen und vor dem Hintergrund bestehender Forschungsarbeiten zur anreizbasierten Verhaltenssteuerung zu diskutieren.

Entsprechend der aus Sicht der Forschung gebotenen Anreizbreite gilt es ein Ruhegehalt intersystemisch in einen grösseren Anreizwirkungsverbund einzuordnen. Aus einer Effizienzperspektive drängt sich dabei eine Senkung der Ruhegehaltshöhe sowie auch eine Befristung der Ausrichtung auf. Andererseits können Anreizsysteme auch opportunistisch sein, also zu eigenen Gunsten genutzt werden. Im Sinne einer intrasystemischen Analyse des Ruhegehalts scheint es deshalb wichtig, die Ausrichtungshöhe oder -dauer nicht von bestimmten Indikatoren abhängig zu machen, über die ein Regierungsmitglied bis zu einem gewissen Punkt selber bestimmen kann. Aus einer Effektivitätsperspektive sollte die Ausgestaltung eines Ruhegehalts darauf hinwirken, dass Verhaltensentscheidungen während den verschiedenen Phasen eines Regierungsamtes aus politischen oder persönlichen Motiven zwar möglich, nicht jedoch durch dieses verzerrt werden. Diese Einordnung soll eine Orientierung bieten und simultan aufzeigen, welche Faktoren bei einer möglichen Anpassung der Ruhegehaltsregelungen besonders relevant sein könnten. Eine Aussage über eine allgemeine kantonale Ausgestaltung wird dabei bewusst nicht getroffen, da diese im Rahmen der kantonalen Besonderheiten und Autonomie auf unterschiedliche Motive zurückzuführen ist und neben anreizbezogenen Überlegungen weitere Einflussfaktoren zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus ist zu betonen, dass neben der betriebswirtschaftlich orientierten Anreizwirkung auch andere Motive bei der Ausgestaltung der Ruhegehälter eine wesentliche Rolle spielen können, auch wenn diese im Rahmen der vorliegenden Auseinandersetzung nicht vertieft behandelt wurden. Eine weiterführende Analyse aus politikwissenschaftlicher oder soziologischer Perspektive könnte die Diskussion ergänzen und erweitern, z.B. durch eine Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Ruhegehaltsregelungen und der Zusammensetzung bzw. Repräsentation der Regierungsmitglieder oder durch die Untersuchung möglicher Zusammenhänge oder Auswirkungen auf das gesellschaftliche Vertrauen oder die Legitimation.

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Anhang

Notes

[1] Schaffhausen, Zürich, Freiburg, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, St. Gallen, Aargau, Tessin, Wallis*, Genf, Jura, Bern, Schwyz, Graubünden**, Neuenburg (*= verzichtet als einziger Kanton ganz auf ein Ruhegehalt / **= derzeit laufen die Arbeiten für eine Gesetzesanpassung).

[2] Anmerkung: Im Kanton Graubünden stimmte die Bevölkerung im November 2025 über die Abschaffung des lebenslänglichen Ruhegehaltes ab. Diese Änderung erfolgte im Nachgang zur vorliegenden Forschungsarbeit und konnte daher nicht mehr berücksichtig werden.

Interessenkonflikte

AR ist Vorstandsmitglied der SGVW Schweizerische Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften. Die anderen Autor/innen haben keine konkurrierenden Interessen.

DOI: https://doi.org/10.5334/ssas.226 | Journal eISSN: 2632-9255
Language: German
Submitted on: Jul 1, 2025
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Accepted on: Dec 11, 2025
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Published on: Dec 29, 2025
Published by: Ubiquity Press
In partnership with: Paradigm Publishing Services
Publication frequency: 1 issue per year

© 2025 Luca Bossard, Maja Hegemann, Adrian Ritz, published by Ubiquity Press
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